Russland

Braune Suppe im russischen Untergrund

MOSKAU (n-ost) - Rolan Epassaka kam aus dem Kongo. In St. Petersburg studierte er Waldwirtschaft. Am Abend des 9. September ging er auf die Straße zum Einkaufen. Er wurde von Unbekannten überfallen. Fünf Tage später war er tot. Die Ärzte konnten ihn nicht mehr retten. Der Körper des Studenten war von Messerstichen übersät, der Schädel gebrochen.
Die ausländischen Studenten zogen in einem Protestzug durch die Stadt. Sie forderten die Stadtverwaltung auf, endlich Maßnahmen zum Schutz von Ausländern zu ergreifen. Erst im letzten Jahr waren zwei ausländische Studenten überfallen und getötet worden.
Nach den Mordtaten hatte die Universitätsleitung den Studenten empfohlen „nicht zu oft“ in die Stadt zu gehen und nur in Gruppen Spaziergänge zu machen. In einem nicht kleinen Teil der Bevölkerung ist das Wort Toleranz ein Fremdwort. Niemand wundert sich über ausländerfeindliche Übergriffe, es gibt keine mahnenden Stimmen von Künstlern oder Geistlichen. An die Morde an Ausländern hat man sich gewöhnt. Die Mord-Taten werden nur in den seltensten Fällen aufgeklärt, die Hintermänner bleiben im Dunkeln.
Auch David Masabma, ein Studienkollege des ermordeten Studenten, kommt aus dem Kongo. David wohnt schon fünf Jahre in St. Petersburg. „Jedes Jahr wird die Situation schlimmer“, berichtete er gegenüber der Zeitung „Kommersant“. „Wir fühlen uns nicht frei. Wir können nicht in die Stadt gehen. Die Russen achten keine Menschen mit anderer Hautfarbe. Solch ein Maß an Rassismus habe ich noch nirgendwo erlebt.“

Skinhead-Hochburg St. Petersburg

St. Petersburg ist eine Hochburg der russischen Skinhead-Bewegung. Landesweit zählt die Bewegung nach Meinung von Experten etwa 50.000 Anhänger. Nach dem Bericht des Menschenrechtsbüros ist die Skinhead-Bewegung insbesondere für die Jugendlichen aus armen Familien attraktiv, “die für sich keine besondere Perspektive sehen“.
In der Stadt an der Newa, die wegen ihrer europäischen Architektur und den zahlreichen Kulturschätzen ein beliebtes Touristenziel ist, jagen die Skinheads jedoch nicht nur Ausländer mit dunkler Hautfarbe. Zu den Opfern rassistischer Überfälle gehören neuerdings auch russische Antifaschisten. Der bekannte Ethnologe Nikolai Girenko, der auch als Experte in Skinhead-Prozessen auftrat, wurde im Juni letzten Jahres von Unbekannten in seiner Wohnung in St. Petersburg erschossen.
Russische Skinheads und rechtsradikale Organisationen machen inzwischen gezielt Jagd auf Antifaschisten, Menschenrechtler und Angehörige nichtslawischer Nationalitäten. Im Juli dieses Jahres wurde die Menschenrechtlerin Ljudmilla Schorowlja aus dem nordrussischen Workuta in ihrer Wohnung erschossen. Im Juni wurde kurz vor Moskau ein Bombenanschlag auf einen Eisenbahnzug aus Grosny verübt. 42 Menschen – unter ihnen vor allem Tschetschenen - wurden verletzt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt jetzt gegen zwei Verdächtige, die der „Russisch nationalen Einheit“ (RNJe) angehören sollen.
Wie aus einem vor kurzem vorgelegten Bericht des Moskauer Büro für Menschenrechte (MBM) hervorgeht, starben im ersten Halbjahr dieses Jahres zehn Menschen in Folge ausländerfeindlicher Überfälle. 200 Personen wurde verletzt. Wie in dem von der EU finanziell geförderten 20-Seiten-Bericht festgestellt wird, befindet sich die Ausländerfeindlichkeit in Russland „stabil auf hohem Niveau“. Umfragen zufolge symphatisieren 50 Prozent der Russen mit der Losung „Russland den Russen“. Besorgniserregende Tendenzen gibt es auch in der Duma. Im Januar forderten 19 Abgeordnete – unter ihnen fünf Kommunisten - in einem Brief an die Generalstaatsanwaltschaft, alle jüdischen Organisationen in Russland zu verbieten. Unter Nationalisten aber auch unter Kommunisten ist die Meinung verbreitet, die sozialen Missstände der letzten zehn Jahre seien bewusst gegen „das russische Volk“ gerichtet.
Alarmierend sind Aufrufe zur Bildung paramilitärischer Organisationen. Im ersten Halbjahr gab es laut MBM-Bericht mehrere derartige Initiativen, so unter anderem von Leonid Iwaschow, einem General im Ruhestand, der auch die „Staatlich-militärische Union“ leitet. Die „Bewegung gegen nichtlegale Immigration“ (DPNI) rief zur Bildung von konspirativen Fünfer-Gruppen auf, welche sich im militärischen Handwerk schulen sollten, um bei einer „möglichen Verschärfung der innenpolitischen Situation“ oder „aggressiver Handlungen ausländischer Staaten“ aktiv zu werden. Das „Moskauer Büro für Menschenrechte“ erklärte gegenüber dieser Zeitung, man habe sich mit der Bitte an die Staatsanwaltschaft gewandt, diese Gewalt-Aufrufe zu prüfen.
Angriffslustig zeigen sich auch die nationalistisch gesinnten Hacker. Sie haben sich in der „Slawjanski Sojus“ („SS“) zusammengeschlossen. Im ersten Halbjahr legten sie zehn Websites von Menschenrechtlern und jüdischen Organisationen lahm.
Landesweit gibt es über 100 rechtsradikale Publikationen mit Titeln wie „Die russische Sache“, „Schwarze Hundertschaft“, „Ich bin Russe“, „Division von Ischewsk“. Sieben rechtsradikale Organisationen – so der Bericht des Menschenrechtsbüros - werben mit dem Schüren von Ausländerhass. Zu diesen Organisationen gehört die „Russische Nationale Einheit“ (RNJe), „Pora“ („Es ist Zeit“, nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen „orangenen“ Organisation), „National-staatliche Partei Russlands“, „Bewegung gegen illegale Immigration“ und „National-völkische Partei.“ In den russischen Regionen treten die Neonazis auch unter Tarnnamen auf, wie „Stadt ohne Drogen“ - in Jekaterinenburg - oder „Vaterland“, im südrussischen Kuban-Gebiet.
Neu im politischen Spektrum ist die „Bewegung gegen illegale Immigration“ (DPNI). Sie verzichtet auf nazistische Symbolik und versucht gut gebildete Bevölkerungsschichten anzusprechen. Unter dem Motto „Die Kaukasier okkupieren eine russische Schule“ startete die DPNI im Mai eine Kampagne gegen ein Modellprojekt an der Moskauer Mittelschule Nr. 223, in dem vertiefter Georgisch-Unterricht angeboten wird.
Gute Kontakte haben die rechtsradikalen Organisationen und Skinhead-Gruppen nach Deutschland, Österreich, Tschechien und in die USA. Wie der russische Skinhead-Experte Aleksandr Tarasow berichtete, treffen sich Vertreter der Skinheads aus Deutschland und Russland seit Ende der 90er Jahre zum „Erfahrungsaustausch“. Den Kontakt nach Osten suchten bisher die Wiking-Jugend, die „Deutsche Volksunion“, der „Stahlhelm“ und die „Neue Freundschaft Treptow“. Der „Kampfbund Deutscher Sozialisten“ (KDS) wirbt auf seiner Website mit Bannern der „Nationstaatlichen Partei Russlands“ und der russischen „Nationalbolschewisten“. Die Russland-Konakte des KDS sind nicht zufällig. Der „Kampfbund“ will „linke und rechte Sozialisten“ gegen die USA vereinen. Zu den verehrten Personen des Kampfbundes gehören Friedrich Engels, der nordkoreanische Staatsführer Kim Jong Il, NS-Ideologe Josef Goebbels und der deutsche Rechtsradikale Michael Kühnen.

Skandal auf der Moskauer Buchmesse

Ausländerfeindlichkeit und Chauvinismus treiben in Russland, wo trotz steigender Erdöl-Gewinne immer noch ein Großteil der Menschen unter der Armutsgrenze lebt, immer neue Blüten. Auf dem diesjährigen Moskauer Buchmesse kam es zu einem Skandal, weil Vertreter muslimischer, jüdischer und Menschenrechtsorganisationen wegen des großen Angebots ausländerfeindlicher, chauvinistischer und antisemitischer Literatur protestierten. Auf der Buchmesse wurde zahlreiche Neuerscheinungen mit antisemitischer Richtung vorgestellt. Dazu gehören „Die Rätsel der Protokolle der Weisen von Zion“, „Der Jüdische Nazismus“ und „Dezionisierung“. Mit den „Protokollen ...“ sollen die angeblichen Pläne der Juden zur Beherrschung der Welt belegt werden. Das Märchen von der angeblichen Weltverschwörung erscheint in immer neuen Formen, obwohl seit langem nachgewiesen ist, dass es sich bei den „Protokollen...“ um Fälschungen der russischen Geheimpolizei aus der Zarenzeit handelt.
Ein Protestschreiben von jüdischen und Menschenrechtsorganisationen übergingen die Organisatoren der Buchmesse und die Generalstaatsanwaltschaft mit Schweigen.
Im Kreml ist man sich inzwischen wohl bewusst, dass Überfälle auf Ausländer sich negativ auf das Wirtschaftsklima auswirken können. Wladimir Putin, der während des Tschetschenienkrieges noch drohte, alle tschetschenischen Terroristen „auf dem Klo kaltzumachen“, setzt inzwischen andere Akzente. Kürzlich erklärte der Kreml-Chef , dass man angesichts des Bevölkerungsrückganges Arbeitskräfte aus benachbarten Staaten anwerben und sie in schwach besiedelten Gebieten ansiedeln müsse. Nach Einschätzung der Menschenrechtler gibt es auch bei der Polizei ein Umdenken. Während sich die Ordnungshüter bisher mit Händen und Füßen sträubten, ausländerfeindliche Übergriffe nach Paragraph 282 („Schüren von ethnischen Hass“) zu verfolgen, wurden im ersten Halbjahr 2005 immerhin fünf Personen nach diesem Paragraphen verurteilt. Im ersten Halbjahr 2004 war nur eine Person nach Paragraph 282 verurteilt worden.

*** Ende *** 


Ulrich Heyden


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