Russland

Sinnloses Sterben am Hindukusch

Moskau (n-ost) - Russland ist immer gut für Wunder. In diesen Tagen bricht ein Film über den Afghanistan-Krieg Kassenrekorde: „Die 9. Kompanie“ von Regisseur Fjodr Bondartschuk lockte in den ersten acht Tagen 2,6 Millionen Zuschauer in die Kinosäle. 10,7 Mio. Dollar wurden bereits eingespielt. Bondartschuk schlägt mit seinem Debüt-Werk den bisher führenden russischen Vampir-Film „Notschnoj Dosor“, der gerade unter dem Titel „Wächter der Nacht“ in Deutschland höchsterfolgreich angelaufenen ist.

Der 38jährige Bondartschuk, der sich mit Video- und Reklame-Clips einen Namen machte, hat selbst nicht in Afghanistan gekämpft. Sein Vater, der 1959 den Weltkriegs-Film „Ein Menschenschicksal“ drehte, brachte den Sohn in den 80er Jahren in der Moskauer Garnison unter, genauer gesagt beim Studio „Mosfilm“. Hart war der Dienst dort vermutlich nicht.
Vielleicht hat es Bondartschuk jr. gewurmt, dass er sich als Jugendlicher der patriotischen Pflicht entzog. In Russland lebt es sich schlecht als Drückeberger und so entschied Fjodr mit einem Film zum Afghanistan-Krieg den Kämpfern von damals ein Denkmal zu setzen. Der Streifen sollte kein Anti-Kriegsfilm und keine militaristischer Film sein sondern einfach nur ein Kriegsfilm, heißt es in der Kino-Werbung.

Bondartschuk jr. hat selbst eine Hauptrolle übernommen. Er spielt „Chochol“ („Der Ukrainer“), den Befehlshaber auf Höhe 3234, dem Hauptkampffeld im Film. Doch man sieht Chochol an, dass er das raue Soldatenleben nicht kennt. Chochol wirkt gut genährt. Wenn er lacht, blinken weiße Zähne, wenn er spricht, hört man den Moskauer Dialekt.

Traurige Lieder der Invaliden

Einen wirklich großen Film über den verlorenen Krieg am Hindukusch gab es in Russland bisher nicht. Nur die Afghanistan-Invaliden mit ihren traurigen Liedern vor den russischen Bahnhöfen erinnern die Öffentlichkeit an die schmachvolle Niederlage in den afghanischen Bergen. Dass dort 620.000 sowjetische Soldaten im Einsatz waren und 15.051 ihr Leben ließen, wird heute verdrängt.

„Die 9. Kompanie“ zeigt den Afghanistan-Krieg aus der Sicht von sieben jungen Wehrpflichtigen. Sieben Jungens aus dem sibirischen Krasnojarsk werden von Fähnrich Dygalo erbarmungslos gedrillt und dann in die afghanische Provinz Chost geschickt. Dort, nicht weit von der pakistanischen Grenze müssen sie sich auf Höhe 3234 eingraben. Sie sollen den Nachschub sichern. Doch die Mujaheddins – vermummt und ohne Todesfurcht - stürmen in immer neuen Wellen auf Höhe 3234. Die Angreifer werden zurückgeschlagen, aber von den sowjetischen Soldaten bleibt nur einer am Leben. Als er seinen Schmerz in die Bergwelt schreit, kommt der Kommandeur der 9. Kompanie mit einem Hubschrauber angeflogen, dreht eine Runde über dem Leichenfeld und schreit den Blutverschmierten dann an: „Warum hat die Funkverbindung nicht funktioniert?“ Der Krieg ist nämlich schon lange zuende. Im Film hat man die 9. Kompanie einfach vergessen.

Den Zuschauern ist das vertraut. Es gibt in der Armee unendlich viel Drill, Unmenschlichkeit und Schlamperei. Die verschworene Gemeinschaft der sieben Jungen wirkt vor diesem Hintergrund äußerst menschlich. Sie prügeln und vertragen sich, vögeln zusammen das einzige Etappen-Mädchen, überfallen Provianttransporte der eigenen Armee und liegen sich in der Neujahrsnacht besoffen in den Armen. Diese Szenen mag das Publikum. Sie sind charakteristisch für das Leben in Russland, wo nur Gemeinschaften überleben.

Die Sehnsucht nach Gemeinsamkeit ist groß und der Regisseur steigert sie noch, indem er die sowjetische Vielvölkerfamilie wieder auferstehen lässt. Auf Höhe 3234 kämpft ein buntes Gemisch von Soldaten aus allen Teilen des Riesenreiches. Man sieht Soldaten mit asiatischen Gesichtszügen und sogar einen Tschetschenen. Die jungen Russen nennen ihn spaßeshalber „Pinochet“, dabei ist der Tschetschene ein besonders gutmütiger Kumpel.

Gesichtslose „Duschmany“

Die „Duschmany“, die Feinde, bleiben fast gesichtslos. Der Zuschauer sieht sie meist nur durch das Zielfernrohr der russischen Scharfschützen. Über den Feind erfährt man nichts, außer dass er hinterhältig und unberechenbar ist. Zweimal zeigt die Kamera Afghanen mit einer längeren Einstellung. Beides mal sind es Unbewaffnete, die dann aus einem Versteck ihre Kalaschnikow hervorziehen.

„Wir leisten unsere internationalistische Pflicht“ schreien die Soldaten beim Appell ihre Angst nieder. Der Polit-Instrukteur macht ihnen nichts vor. Noch wurden die Afghanen von keiner Armee besiegt, lässt er die Wehrpflichtigen wissen. Doch der Wille; sich als Mann zu beweisen, ist größer als alle Zweifel. Als die jungen Soldaten nach dem Grund-Drill auf dem Appell-Platz gefragt werden, ob Jemand nicht nach Afghanistan will, meldet sich Niemand.

Die Hollywood-verwöhnten russischen Kinobesucher kommen mit der „9. Kompanie“ voll auf ihre Kosten. Es gibt tieffliegende Hubschrauber, Robben unter Stacheldraht, Kletterübungen mit Steinen im Rucksack und groben Sex. Allein die Explosion eines Antonow-Transportflugzeuges kostete 450.000 Dollar. Die Liste des Kriegsgeräts ist lang. Zum Einsatz kamen 30 Panzer, 50 Schützenpanzerwagen, zehn Hubschrauber und 23 Flugzeuge. Das Budget war mit neun Millionen Dollar für russische Verhältnisse imposant. Man drehte jedoch nicht in Zentralasien sondern auf der Krim. Der Nato-Anwärter Ukraine stellte Panzer und Flugzeuge.

Fotos unter : www.9rota.ru


Info-Kasten

Der Krieg in Afghanistan

Am 25. Dezember 1979 begann der Einmarsch der sowjetischen Truppen in Afghanistan. Zwei Tage später stürmten sowjetische Spezialeinheiten die Residenz von Premierminister Hafizullah Amin. 620.000 sowjetische Soldaten war bis zum Abzug im Februar 1989 im Einsatz. 15.051 sowjetische Soldaten wurden getötet. 417 sowjetische Soldaten wurden vermisst oder gefangengenommen. Nur 130 kehrten in die Heimat zurück.


Russischer Kino-Boom

Durch die Erdöleinnahmen des Landes hat sich der Lebensstandard vieler Russen verbessert. Man hat wieder Geld fürs Kino. Die Einnahmen der Kinos stiegen zwischen 2001 und 2004 von 70 auf 410 Millionen. Die Zahl der Dolby-Kinosäle stieg von acht (1995) auf 700. Die Anzahl der in Russland produzierten Filme stieg seit 1995 von 24 auf 100 pro Jahr.

Die Rekord-Filme

Die 9. Kompanie (10,7 Mio. Dollar in acht Tagen)
Türkischer Gambit - 18 Mio. Dollar
Wächter der Nacht - 16 Mio. Dollar
Herr der Ringe: Die Rückkehr des Königs – 14 Mio. Dollar
Terminator 3 – 13 Mio. Dollar



*** Ende ***



Ulrich Heyden


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