Moskau in ruhiger Erwartung
Moskau (n-ost) - Die Glückwünsche aus Moskau ließen nicht lange auf sich warten. Weniger als eine Stunde nach der Wahl von Angela Merkel meldete die Nachrichtenagentur Itar-Tass, der Kreml-Chef habe ein Glückwunschtelegramm nach Berlin geschickt. Wladimir Putin lud die frisch gewählte Kanzlerin nach Moskau ein. In etwas umständlicher Sprache heißt es in dem Telegramm: „Ich bin überzeugt, dass das von uns bei unserem kürzlichen Treffen in Berlin bestätigte Streben zur weiteren Vertiefung der strategischen Partnerschaft, den Interessen der beiden Völker, der Sicherheit und dem ökonomischen Fortschritt in Europa dient.“ Wladimir Putin hofft auf eine „Fortführung des Dialogs“.
Die außenpolitischen Experten erwarten keine Verschlechterung der Beziehungen. Konstantin Kosatschow, der Vorsitzendes des Duma-Komitees für internationale Beziehungen, erwartete von der CDU/CSU, dass sie eine Normalisierung des Verhältnisses zu den USA anstrebt. Normale Beziehungen zu Russland entsprächen allerdings „ebenso den nationalen Interessen Deutschlands.“ Insbesondere die deutsche Wirtschaft sei an guten Kontakten interessiert: „Die großen deutschen Unternehmen, welche auf Russland orientiert sind, werden keine Verschlechterung der Beziehungen zulassen“, so Kosatschow.
Gerechnet wird damit, dass die neue deutsche Regierung die Interessen der neuen EU-Mitglieder in Osteuropa wohl stärker berücksichtigen werde. Dennoch sieht Kosatschow keine Gefahr für das deutsch-russische Gaspipeline-Projekt durch die Ostsee, welches in Polen und Litauen auf heftige Kritik gestoßen war. Die traditionellen Dreier-Konferenzen, an denen in den letzten Jahren Schröder, Chirac und Putin teilgenommen hatten, würden nun wohl aber „ihre Regelmäßigkeit verlieren“.
Auch Juli Kwizinskij, stellvertretender Vorsitzender des Duma-Komitess für internationale Beziehungen und von 1986 bis 1991 Botschafter der Sowjetunion in der Bundesrepublik Deutschland, glaubt nicht, dass Angela Merkel die Zusammenarbeit mit Russland „einer Prüfung unterzieht.“ Trotz einer Verbesserung der Beziehungen zu den USA werde die neue Regierung in Berlin sich nicht völlig von „der großen Selbstständigkeit Europas“ verabschieden. Für die neue Regierung ständen jetzt vor allem innenpolitische Fragen an.
Probleme mit „Frau Kanzlerin“
Dass Deutschland nun von einer Frau geführt wird, ist für das russische Establishment gewöhnungsbedürftig. „Deutschland wurde schon im 10. Jahrhundert von der Königin Feofanija regiert“, ließ die Internet-Zeitung Gazeta.ru ihre Leser wissen, obwohl sich an Kaiserin Theophanu in Deutschland selbst niemand mehr erinnern kann. Befremdlich fand die Zeitung, dass man sich in Deutschland über den richtigen Titel streite, Kanzler oder Kanzlerin.
Für den männerdominierten russischen Politik-Betrieb ist die deutsche Kanzlerin eine Herausforderung. Man guckt, wer da nun kommt. „Die Tochter eines Pastors“, ließ der Fernsehkanal ORT seine Zuschauer wissen. Der Duma-Vorsitzende Boris Gryslow bescheinigte Angela Merkel immerhin: „Sie formuliert die Probleme sehr genau, sie ist ein sehr pragmatischer Mensch, sehr konkret, man kann mit ihr arbeiten.“ Die einzigen beiden russischen Politikerinnen, die es auf hohe Posten geschafft haben, die Gouverneurin von St. Petersburg Walentina Matwijenko und die stellvertretende Duma-Vorsitzende Ljubow Sliska sind immer grell gekleidet und tragen viel Gold. Den Frauen-Typ Merkel findet man eher abgeschirmt von der Öffentlichkeit im mittleren Management russischer Unternehmen.
Während die Berichte über Angela Merkel in den russischen Zeitungen von kühler Bewunderung geprägt sind, zeigte man zum Abgang von Gerhard Schröder offene Trauer. „Für Russland ist der Abgang von Gerhard Schröder ein Verlust,“ schrieb die „Iswestija“. Der bisherige Regierungschef sei „russophil“, dass erkenne man nicht nur an seinen zahlreichen Treffen mit Wladimir Putin sondern daran, dass er ein russisches Mädchen adoptiert habe.
Das russische Fernsehen nahm an Schröders Abschied gefühlvoll Anteil. Ausführlich berichtete der Staatskanal RTR über den Großen Zapfenstreich in Hannover. Die Tränen des Kanzlers rührten auch die russische Seele, die nicht nur große Staatsmänner verehrt, sondern immer auch eine Schwäche für tragisch Gescheiterte hat.
*** Ende ***
Ulrich Heyden