Bosnien-Herzegowina

Deutsche Spuren in Bosnien-Hercegovina

Sarajevo (n-ost) - In jüngster Zeit ist Bosnien-Hercegovina von Deutschen mehr oder minder vergessen worden. Dabei waren die Deutsche und Österreicher einmal die besten „Anwälte“ dieses Landes. Bosnien erlebte von 1878 bis 1918, als es Teil des Habsburger Imperiums war, seine beste Zeit, was in den lokalen Sprachkonventionen eine Fülle von deutschen Lehnwörtern hinterlassen hat. Mit dem neuen UN-Repräsentanten Christian Schwarz-Schilling, der Anfang Februar sein Amt antritt, könnte an bessere Vorbilder der Vergangenheit angeknüpft werden.

Mit 51.129 Quadratkilometern ist Bosnien-Hercegovina etwas größer als Niedersachsen, mit 3,9 Millionen Einwohnern etwas volkreicher als Berlin. Anders als in den übrigen ex-jugoslawischen Nachfolgestaaten lebte in Bosnien nie eine dominierende Titularnation, der das Land wie ein Privatbesitz zustand. Die „Bosnier“ oder „Bosniaken“ sind (fast alle) ethnische Südslaven, deren traditionelle Binnendifferenzierung bereits 1531 der österreichische Reisende Benedict Curipeschitz vermerkte: „Item wir haben in berürtem Künigreich Bossen dreierley Nationes vnnd glaubens gefunden“, nämlich Katholiken (oder Kroaten), Orthodoxe (oder Serben) und Muslime (oder Bosnier). Bis heute machen die Muslime etwa 44 Prozent der Bevölkerung aus, 31 Prozent die Serben und 17 Prozent die Kroaten.

„Bosnisches Paradoxon“ nennt beifällig die moderne deutsche Islamwissenschaft eine identitätsstiftende Besonderheit der muslimischen Bevölkerungsmehrheit Bosniens: Deren Islam ist bewusst konservativ und ignoriert souverän alle Veränderungen, die seit der bosnischen Konversion von 1462 in dieser Religion stattfanden – Schnaps trinken und Schweinefleisch essen war für bosnische Muslime nie ein Problem, Kopftuch tragen nie ein Gebot, Bildnisse Verstorbener auf dem Grabstein zu verewigen eine Selbstverständlichkeit. Diesen lässigen Umgang mit der Religion hat schon vor 200 Jahren der deutsche Historiker Leopold von Ranke in seiner „Historisch-politischen Zeitschrift“ bewundernd porträtiert.

Dieses ethnisch ausbalancierte, natürlich reiche Bosna argentina (silberne Bosnien) haben die Deutschen sehr früh sehr gut gekannt, vor allem dank der Vorarbeit des Berliner Geographen Anton Friedrich Büsching (1724-1793). Dessen akribische Karte des „Königreichs Bosnien“ von 1750 ist bis heute ein Lehrbuch der angenehmsten Art, seine detaillierten Beschreibungen des Landes („in Mostar werden die besten Klingen nach Damascener Art geschmiedet“) nicht minder.

1878 hatte der Berliner Kongress Bosnien an Österreich-Ungarn „zur Verwaltung“ übergeben, und unter Stabführung des Finanzministers Benjamin Kallay brachte Wien das Land in unerreichte Höhen. „Mit Lehrer, Ingenieur und Arzt“ und in ständiger Kooperation mit lokalen Honoratioren machte Habsburg aus Bosnien eine Bastion gegen den immer bedrohlicheren serbischen Nationalismus. Dabei halfen beste eigene Erfahrungen: Nach 1520 hatte Wien seine „Militärgrenze“ von der Adria bis zu den Karpaten gezogen, die nun etwas südöstlich erweitert wurde, um ganz Bosnien bruchlos zu integrieren. Zudem übte man sich in vorsichtiger Konzilianz: Eine „bosnische“ Nation wurde proklamiert, mit „bosnischer“ Sprache und „bosnischer“ Schrift. Im bosnischen Krieg 1991-1995 wurde auch die Bibliothek von Sarajevo zerstört. Seither fehlt der europäischen Kultur ein Juwel mit einzigartigen Schätzen, das die Österreicher 1888 als „Landesmuseum“ eingerichtet hatten.

Anders als in Slowenien, Kroatien und Serbien gab es in Bosnien kaum nennenswerte deutsche Volksgruppen: Um 1879 wanderten einige aus Süd-Russland ein, gründeten nördlich von Sarajevo ein paar Siedlungen und zählten 1910 weniger als 25.000 Angehörige. Aber generell haben sich die Deutschen für kein anderes Land des westlichen Balkans mehr interessiert. Ohne Mühe könnte man aus deutschen Publikationen ganze Bibliotheken für Serbien, Kroatien, Makedonien und Bulgarien zusammen¬stellen, und die für Bosnien wäre die umfangreichste: Was deutsche Autoren wie Hermann Wendel, Franz Maurer, Moriz Hoernes, Robert Michel und viele andere seit 1870 schrieben, waren nicht nur detaillierte Erkundungen dieses Landes, sondern auch eine Liebeserklärung an „Bosnien als das Land der Morgenröte“, wie Heinrich Renner, Journalist bei der ehrwürdigen „Vossischen Zeitung“, es 1896 in seinem Bestseller „Durch Bosnien-Hercegovina kreuz und quer“ nannte.

Diese Liebe wurde erwidert, wie bis heute hörbar ist: 1996 richtete die Bundeswehr in Rajlovac, einem Vorort von Sarajevo, ein „Feldlager“ ein. Seither kommt immer mal wieder ein einheimischer Journalist vorbei, zuletzt am 9. Dezember 2005 Mile Stojić von der „Feral Tribune“ aus Split, den dieses deutsche Türschild inspiriert, an deutsche Spuren in bosnischen Sprachkonventionen zu erinnern. Diese sind Legion: Als serbische Soldateska im Krieg zweimal die „Markale“ von Sarajevo beschossen, da wusste alle Welt, dass die „Markthalle“ der Stadt im Visier gestanden hatte. Und ähnliche deutsche Sprachanleihen mehr: šturum (Sturm), šlafrok, forangle (Vorhänge), haustor, banovo (Bahnhof), šarafciger (Schraubenzieher), valter (Verwaltung), bauštela usw. bis hin zum „jaran“, den vom deutschen „Jahrgang“ abgeleiteten Begriff für einen besonders guten Freund und treuen Kameraden.

1918 mussten die Österreicher weichen, Bosnien wurde Teil des neuen „Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen“ (SHS), das sich 1929 in „Jugoslawien“ umbenannte. Die Bosnier blieben sich treu - loyal zum neuen Staat, gefestigt in ihrer „muslimischen“ Identität, souverän in ihrem multiethnischen Lokalpatriotismus und geschickt in ihrer Rolle als „Waffenschmiede“ des Landes. Dieses Geschick bekamen nach 1941 auch die deutschen Besatzer zu spüren: Die von ihnen aufgestellte „SS-Division Handshar“ führte zwar den bosnischen „Krummsäbel“ im Namen und Wappen, wurde von Bosniern aber weitgehend ignoriert. Desto tapferer waren bosnische Partisanen, was Titos engsten Mitarbeiter Mosha Pijade zu dem begeisterten Ausruf hinriss: Jebeš zemlju koja Bosne nema (Sch..ß auf ein Land, das kein Bosnien hat).

Nach dem Krieg wollte Tito den Bosniern nur eine Autonomie geben, keine Republik. Aber den Gedanken ließ er bald wieder fallen. Milovan Đilas berichtete in seinen Memoiren amüsiert, wie im Sommer 1946 Bosnier in Belgrad auftauchten und so lange Krach machten, bis ihnen der entnervte Tito die Republik gestattete. Er musste es nie bereuen: Als um 1972 im restlichen Jugoslawien Inflation und Arbeitslosigkeit gefährlich anstiegen, da erlebte Bosnien sein „bosnisches Wirtschaftswunder“, weil die Bosnier nie den Leerlauf von Titos „Arbeiterselbstverwaltung“ mitmachten - bosnischer Art entspricht, dass jemand Chef ist und bestimmt oder gefeuert wird, wenn er seine Sache nicht gut macht - waren sie die einzigen, die im Außenhandel mit Deutschland einen Überschuss erzielten.

1984 richtete Sarajevo die Olympischen Winterspiele aus und machte sie zu den entspanntesten der olympischen Sportgeschichte. 1994 - mitten im Krieg, der Bosnien mindestens 278.000 Tote und über drei Millionen Vertriebene kostete -, lud die bosnische Hauptstadt alle Olympiastädte der Welt zu einem Solidaritätstreffen ein. Alle, alle kamen – nur aus Berlin und München traf nicht einmal eine Antwort ein, geschweige denn ein einziger Besucher.

Immerhin aber nahm Deutschland während der Balkankriege rund 500.000 bosnische Flüchtlinge auf, doppelt so viele wie der Rest der Welt, was einen neuen „Schub“ von deutschen Wörtern auslöste: duldum (Duldung), šticung, ofental (Aufenthalt), niderlašung und viele weitere. Nicht zuletzt wurde in den 90er Jahren in Bosnien auch die „Konvertierbare Mark“ als neue Währung eingeführt und 1:1 an die D-Mark gekoppelt. Während die Mark aus Deutschland schon verschwunden ist, gibt es die Konvertierbaren Mark und Pfennig in Bosnien noch immer.

Diese enge Verbindung zwischen Deutschland und dem bürgerkriegsgeschädigten Land dürfte bei der Wahl der 75-Jährige Christian Schwarz-Schilling zum neuen „Hohen UN-Repräsen¬tanten“ Mitte Dezember 2005 eine wichtige Rolle gespielt haben. Der frühere Postminister Schwarz-Schilling, der als Streitschlichter dutzende Male in die Region gereist ist, wird von allen Volksgruppen in Bosnien respektiert. Gute Voraussetzungen, an alte deutsch-balkanische Erfolgsgeschichten anzuknüpfen.

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