Russland

„Wir zahlen und fahren nach Hause“

Moskau (n-ost) Es war acht Uhr abends, als zwei afrikanische Studenten, der 28jährige Kamhem Leon aus Kamerun und ein Freund aus Namibia, einen schwach beleuchteten Pfad entlang eines Fernwärmerohrs passierten. Plötzlich fielen aus der Dunkelheit sechs Jugendliche in dunklen Jacken und Mützen über die Afrikaner her. Die Angreifer im Alter zwischen 16 und 18 Jahren waren mit Messern und Flaschen bewaffnet. Der Überfall ereignete sich nicht weit von dem Wohnheim der beiden Studenten und der Metro-Station Awtowo.
Kanchem Leon wurde mit Messerstreichen in den Hals getötet. Der Student war erst vor einigen Monaten nach Russland gekommen. Er wollte am Institut für Binnenschifffahrt studieren. Seinem Freund aus Namibia gelang die Flucht. 300 Meter weiter kam es zu einem weiteren Überfall. Ein Student aus Kenia wurde mit Messern angegriffen. Er wurde mit Stichverletzungen im Rücken und im Gesäß in ein Krankenhaus eingeliefert.

In St. Petersburg ereignen sich immer häufiger Überfälle auf Ausländer. Die „Hauptstadt der russischen Kultur“, wie die St. Petersburger die Newa-Stadt mit Stolz nennen, wurde in den letzten Jahren zur Hochburg der russischen Skinheads. Stadtverwaltung und Bevölkerung wollen diese Entwicklung aber offenbar nicht wahrhaben und verschließen die Augen. Aus Sicherheitsgründen verlassen die Studenten aus Afrika und Asien ihre Wohnheime nur noch in Gruppen. Doch diesmal reichte das als Schutz nicht aus. Es waren zu viele Angreifer.
14 Personen wurden nach der Mordtat vom Sonnabend festgenommen, am Montag jedoch wieder freigelassen. Die Staatsanwaltschaft wollte nicht ausschließen, dass es sich um einen Mord mit rassistischem Hintergrund handelte. Möglicherweise habe es sich aber auch nur um eine Schlägerei unter Jugendlichen gehandelt.
Bei ähnlichen Fällen in der Vergangenheit hatte die Staatsanwaltschaft meist nur in Richtung „jugendlichen Rowdytums“ ermittelt. Doch es mehren sich Stimmen, die eine härtere Gangart fordern. Der St. Petersburger Staatsanwalt Sergej Sajzew erklärte, es sei Zeit, die Stadt „von dieser Seuche“ – er meinte die Skinheads - „zu säubern“.
Schon seit langem fordern die Studenten aus Afrika und Asien wirksamen Schutz von Seiten der Stadtverwaltung. Die Skinheads haben keine Angst vor der Polizei. An das Wohnheim in der Nähe der Metro-Station Awtowo haben sie mit schwarzer Farbe „Tod den Negern“ und ein Hakenkreuz gesprüht.
Am Dienstag will die Organisation „Afrikanische Einheit“ zusammen mit Menschenrechtsorganisationen vor dem Smolny, dem Sitz der Stadtregierung, demonstrieren. Kritik an den Zuständen in St. Petersburg kam auch von Seiten der Kreml-nahen Jugendorganisation „Naschi“ („Unsere“). „Wir fordern, dass die Stadtverwaltung die Schandtaten in der Stadt stoppt,“ erklärte „Naschi“-Pressesekretär Iwan Mostowitsch. Nikita Chaplin, Leiter der Russischen Studentenunion, forderte Wladimir Putin auf, die Aufklärung des Mordes an dem Studenten aus Kamerun persönlich zu kontrollieren.
Desire Defo, Vertreter der Organisation „Afrikanische Einheit“, versteht nicht, warum man die Afrikaner hasst. „Es ist dumm, von Rassenhass zu sprechen. Wir bezahlen Geld für unsere Ausbildung, wir studieren und fahren dann nach Hause. Wir nehmen niemandem einen Platz weg.“ Doch die Skinheads in St. Petersburg haben seit Jahren feste Strukturen mit eigener Ideologie gebildet. Mit Argumenten ist ihnen nur schwer beizukommen.

Milde Urteile gegen Skinheads

Ella Panfilowa, Leiterin des von Putin eingesetzten „Rates zur Entwicklung der Zivilgesellschaft“, rät der Verwaltung von St. Petersburg eine Kampagne gegen Ausländerfeindlichkeit zu starten. Die Neonazis hielten die Stadt in Angst, so die Expertin für Bürgerrechte. Die Strafen gegen die Skinheads seien „zu milde“. Bisher ist in der Öffentlichkeit kein einziger Fall bekannt, wo ein Skinhead zu einer harten Strafe verurteilt wurde.
Am 14. Dezember wurden vor dem Stadtgericht von St. Petersburg Urteile gegen die extremistische Gruppe „Med Kraud“ („Verrückte Masse“) gefällt. Die Gruppe ist für mindestens fünf Überfälle auf Ausländer verantwortlich. Drei Mitglieder der Gruppe wurden zu drei Jahren Arbeitslager verurteilt. Zwei Mitglieder bekamen eine Haftstrafe von zwei Jahren. Die minderjährigen Gruppenmitglieder wurden zu Bewährungsstrafen verurteilt. Ruslan Melnik, der Anführer von „Med Kraud“, bliebe ohne Strafe. Er ist untergetaucht.
In der von der „Novyje Iswestija“ veröffentlichten Chronik ausländerfeindlicher Überfälle nimmt St. Petersburg einen Spitzenplatz ein. Doch auch andere Städte im europäischen Teil Russlands sind betroffen. In den letzten drei Monaten kam es in St. Petersburg, Moskau, Nischni Nowgorod, Kursk, Rostow am Don und Woronesch zu insgesamt 18 ausländerfeindlichen Überfällen. Zwei Überfälle endeten für die Angegriffenen tödlich.



*** Ende ***


Ulrich Heyden


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