Alle gegen Juschtschenko
Die Nachricht, dass das ukrainische Parlament, die Werchowna Rada, die Regierung abgesetzt hat, ereilte den ukrainischen Präsidenten Viktor Juschtschenko im Flugzeug auf dem Weg nach Kasachstan. Der Präsident reagierte emotional. Möglicherweise werde er das Parlament auflösen, grollte er. Dabei hat er dazu laut Verfassung gar keine Möglichkeiten.
Am späten Mittwoch war von einer Auflösung des Parlaments dann nicht mehr die Rede, der Ton Juschtschenkos aber kaum versöhnlicher. Die Abstimmung in der Werchowna Rada sei der Versuch, „die Situation in der Ukraine zu destabilisieren“, kommentierte der Präsident. Die 250 Abgeordneten, welche für die Entschließung gestimmt hatten, wollten „die Macht um jeden Preis.“ Ihnen gehe es um die Parlamentswahlen am 26.März. Unter dem Deckmantel von den am 1. Januar in Kraft getretenen Verfassungsänderungen hätten die Abgeordneten einen „Anschlag auf die Verfassungsordnung“ ausgeführt.
Auslöser für die rechtlich tatsächlich umstrittene Absetzung der Regierung war der Kompromiss im Streit mit Russland um die Gaslieferungen an die Ukraine. Anfang der Woche war bekannt geworden, dass der am 4. Januar ausgehandelten Preis von 95 Dollar pro 1.000 Kubikmeter Gas nur für ein halbes Jahr gilt. Danach sind entsprechend den Entwicklungen auf dem europäischen Gasmarkt weitere Preissteigerungen möglich. Ungeachtet dieser neuen Enthüllungen lobte Juschtschenko während eines Treffens mit Russlands Präsident Wladimir Putin in Astana die Einigung in der Gas-Frage als „gesunden Kompromiss“. Die „Politisierung“ dieser Frage könne dem „schönen Resultat“ nur schaden.
Durch die Abstimmung in der Werchowna Rada schlitterte die Ukraine in eine ernste Machtkrise. Am 1. Januar trat eine Verfassungsreform in Kraft, nach der das Parlament mehr Rechte erhält. So kann es die Regierung entlassen. Doch erst nach den Parlamentswahlen im März darf eine Koalition im Parlament die neue Regierung bestimmen. Der Präsident kann nun eigentlich nichts weiter tun, als die Werchowna Rada aufzufordern, ihre rechtlich umstrittene Entscheidung zurückzunehmen. Vor dem Verfassungsgericht kann Juschtschenko den Parlaments-Beschluss nicht anfechten, weil es in der Ukraine faktisch kein Verfassungsgericht gibt: Seit Monaten blockiert das Parlament die Ernennung der dafür nötigen Richter. Ministerpräsident Juri Jechanurow erklärte nun, das Kabinett werde die Amtsgeschäfte bis zu den Parlamentswahlen weiter führen. Den Titel „geschäftsführender Ministerpräsident“ lehnte Jechanurow ab.
Am Dienstag hatte sich in der Werchowna Rada eine bunte Koalition von Juschtschenko-Gegnern gebildet. Den Antrag auf Rücktritt der Regierung stellte Leonid Krawtschuk, Führer der „Vereinigten Sozialdemokraten“ und von 1991 bis 1994 Präsident der Ukraine. Er erklärte, die Regierung habe in den Gas-Verhandlungen mit Russland nicht professionell gehandelt. Man wisse nicht, was für einen Gas-Preis es in einem halben Jahr geben werde und wer die Garantie für die Gaslieferungen in die Ukraine übernehme. Die Regierung habe die wirtschaftliche Sicherheit des Landes vernachlässigt. Diese Position wurde auch von einer Reihe von Großunternehmen vertreten, die sich in einer Erklärung an Juschtschenko wandten und die Absetzung der für den Gas-Kompromiss verantwortlichen Beamten forderten.
Für den Antrag stimmten der Block der ehemaligen Ministerpräsidentin Julia Timoschenko, der Block von Rada-Sprecher Wolodymyr Lytwyn, die „Partei der Regionen“ des Moskau-orientierten ex-Präsidentschaftskandidaten Viktor Janukowitsch sowie die Kommunistische Partei.
Sollte dieses Bündnis bestehen bleiben, sieht die Zukunft für Viktor Juschtschenko schlecht aus. Die Präsidenten-nahe Partei „Unsere Ukraine“ liegt in den Umfragen bei nur 15 Prozent. Stärkste Partei in der Ukraine ist zur Zeit die Russland-freundliche Partei der Regionen von Viktor Janukowitsch, die in den Umfragen mit 27 Prozent weit vorne liegt.
Die Befragung von Ministerpräsident Juri Jechanurow in der Werchowna Rada am Dienstag brauchte erstaunliche Details der Gas-Verhandlungen zu Tage. So erklärte Jechanurow, über Einzelheiten der Gas-Lieferungen müsse noch nachverhandelt werden. Die Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko will eine Parlaments-Kommission bilden, die prüfen soll, inwieweit bei der Gas-Einigung vom 4. Januar Korruption mit im Spiel war. Insbesondere geht es dabei wohl auch um die Rolle der Handelsfirma Firma RosUkrEnergo, die jetzt als Zwischenhändler zwischen Gasprom und der „Naftogas Ukrainy“ auftritt. Der Gasprom-Anteil in dem Unternehmen wird nach Meinung des ehemaligen ukrainischen Geheimdienstchefs Aleksandr Turtschinow von Semjon Mogilewitsch kontrolliert. Der Geschäftsmann wurde wegen Betrügereien in Russland zweimal verurteilt. Beim FBI steht er wegen Betrug und Geldwäsche auf der Fahndungsliste.