„Puppenspieler im Ausland“
Moskau (n-ost) - Auf der internationalen Pressekonferenz im Kreml, die seit 2002 jedes Jahr stattfindet, stimmte Wladimir Putin die über 1.000 Journalisten mit blendenden Zahlen über die wirtschaftlichen Erfolge Russlands ein. Das Bruttoinlandsprodukt sei im letzten Jahr um 6,4 Prozent, höher als geplant, gestiegen. Russland werde für ausländische Investoren immer interessanter. Mit sechs ausländischen Autobauern seien Vereinbarungen über Montagefabriken in Russland unterzeichnet worden. Mit 14 weiteren ausländischen Auto-Firmen stehe man in Verhandlungen.
Dann ging es an die wunden Punkte. Putin bedauerte, dass man trotz der entwickelten Zusammenarbeit mit Großbritannien nun mit einem Spionagefall konfrontiert sei. Vor einer Woche hatte der russische Geheimdienst vier britische Diplomaten als Spione enttarnt. Einer der Enttarnten war in der britischen Botschaft in Moskau für Finanzhilfen an russische NGO zuständig. Er werde diese Fragen persönlich mit Tony Blair besprechen, erklärte der Kreml-Chef. Eine Ausweisung der Diplomaten sei nicht geplant. In Moskau habe man sie jetzt gut „unter Kontrolle“.
Zu den vom Geheimdienst FSB, dem staatlichem Fernsehen und Duma-Abgeordneten erhobenen Vorwürfen, russische Nichtregierungsorganisationen würden von Spionen bezahlt, erklärte Putin, die NGO seien wichtig zur Kontrolle der staatlichen Machtstrukturen. Man werde die „nichtkommerziellen“ Organisationen unterstützen, sie müssten aber ihre Finanzen offen legen. Die NGO müssten unabhängig sein und dürften nicht von „Puppenspielern im Ausland“ gesteuert werden.
Angesprochen auf den Fall des Wehrpflichten Andrej Sytschow, dem man nach einer Quälerei durch ältere Soldaten beide Beine, die Genitalien und einen Finger amputiert hatte, erklärte der Kreml-Chef, dass sei ein „schrecklicher Fall“. Die Verantwortung für die Streitkräfte trage die ganze Gesellschaft, auch das Fernsehen mit seinen oft gewaltverherrlichenden Sendungen. Putin erklärte, eine „optimale“ Entscheidung wäre die Einführung einer Militärpolizei.
Die Vorsitzende der Moskauer „Soldatenmütter“ Walentina Melnikowa bezeichnete das Projekt gegenüber dieser Zeitung dagegen als „faulen“ und schädlichen Vorschlag. Die Militärpolizei werde letztlich die Kommandeure bei der Vertuschung von Gewalt-Delikten unterstützen und die Militärstaatsanwälte bei der Aufklärung von Verbrechen behindern. Schon jetzt gäbe es die Militär-Patrouillen, etwa vergleichbar mit den deutschen Feldjägern, die auf Straßen und Plätzen Soldaten während ihrer Freizeit kontrollieren. Wozu also eine neue Struktur.
Über die Situation in Tschetschenien zeigte sich der Kreml-Chef zufrieden. Mit den Parlamentswahlen, die Ende November in der Kaukasusrepublik stattfanden, sei Tschetschenien vollständig in den Wirkungsbereich der russischen Verfassung zurückgekehrt. Die tschetschenischen Sicherheitskräfte würden mehr und mehr die Verantwortung über die Lage in Tschetschenien übernehmen. Oft arbeiteten sie „effektiver“ als die föderalen Truppen. Wenn sich die Lage so weiter entwickelt – so der Kreml-Chef - , könne man vom Ende der „antiterroristischen Operation“ in Tschetschenien sprechen.
Zweimal fuhr Putin aus der Haut
Die ersten zwei Stunden der Pressekonferenz wurden live von zwei staatlichen Fernsehkanälen und zwei Radiosendern übertragen. Danach ging die Veranstaltung noch eineinhalb Stunden ohne Live-Übertragung weiter. Einige russische Journalisten hatten handgeschrieben Tafeln mit ihren Heimatorten mitgebracht, um Putin´s Pressesprecher bei den zahlreichen Armmeldungen die Wahl zu erleichtern.
Putin war wie immer gut informiert und reagierte souverän. Die russischen Journalisten hielten sich mit kritischen Fragen jedoch auch weitgehend zurück. Zweimal fuhr der Kreml-Chef aus der Haut. Als der Korrespondent der Nachrichtenagentur AP fragte, warum der Präsident sich zwar zu europäischen Werten bekenne, aber die Position der usbekischen Regierung bei der Niederschlagung der Unruhen in Andischan unterstützt habe, antwortete Putin, „wir wissen besser als sie, was in Andischan passierte.“ Es gehe darum ein zweites Afghanistan zu verhindern. Im Mai 2005 waren im usbekischen Andischan bei der gewaltsamen Auflösung einer Demonstration nach Angaben von Menschenrechtlern 700 Menschen getötet worden.
Als die Korrespondentin von France Press wissen wollte, warum Russland das „Regime“ des weißrussischen Präsidenten Lukaschenko unterstütze, reagierte der Kreml-Chef ebenfalls gereizt. Das sei keine Unterstützung „eines Regimes“ sondern „eines Brudervolkes“. Im übrigen verbinde Russen und Weißrussen mehr als Russen und Franzosen.
Photos
Putin und eine russische Journalistin. Live-Übertragung des staatlichen russischen Fernsehkanals RTR Copyright by Ulrich Heyden Moscow 2006
*** Ende ***
Ulrich Heyden