Russland

„Mein Kampf“ endlich auf russischen Index?

Moskau (n-ost) - „Ich war erschüttert aber nicht erstaunt“, erklärte Alla Gerber, Vorsitzende der Moskauer Holocaust-Stiftung, nachdem ein Skinhead in einer Synagoge nicht weit vom Kreml mit einem Jagdmesser acht Menschen verletzt hatte. Der Vorfall ereignete sich am 12. Januar. Aleksandr Kopzew, ein 20jähriger Arbeitsloser mit kahlgeschorenem Kopf und guten Kontakten zur Moskauer Skinhead-Szene tauchte während des Abendgebets in der Synagoge an der Bolschaja Bronnaja-Straße auf. Das Gebetshaus liegt nur zwei Kilometer vom Kreml entfernt. Mit seinem 40 Zentimeter langen Jagdmesser attackiert er Gläubige und schrie „Sieg heil! Ich töte!“ Acht Menschen, unter ihnen ein Amerikaner, ein Israeli und ein Tadschike wurden verletzt. Vier Opfer mussten auf der Intensivstation behandelt werden. Das älteste Opfer, ein 71-jähriger Mann, befindet sich noch immer im Krankenhaus.

Die Kette rassistischer und antisemitischer Überfälle in Russland reist nicht ab. Am Weihnachtsabend waren drei Afrikaner in Petersburg von Skinheads mit Messern angegriffen worden. Einer der Angegriffenen starb an seinen Verletzungen. Afrikaner, Asiaten, Kaukasier und Juden leben in Russland zunehmend gefährlich. Die Polizei versuchte die Überfälle der Skinheads in der Vergangenheit oft als „Hooliganismus“ herunterzuspielen. Doch nach einer Vielzahl von Überfällen lässt sich nicht mehr bestreiten, dass die Skinhead-Szene in Russland gezielt gegen andere Nationalitäten vorgeht. Wladimir Putin hatte letztes Jahr bei den Jubiläums-Feierlichkeiten zur Befreiung des Konzentrationslager Ausschwitz erklärt, er schäme sich, dass es in Russland Neonazis gibt. Auf der Jahres-Pressekonferenz im Kreml, erklärte Putin, die Gerichte müssten gegenüber „neonazistischen Erscheinungen“ „adäquat“ reagieren. „Nur so können wir effektiver gegen diese Seuche kämpfen.“

Als Ermittler die Wohnung des Moskauer Attentäters durchsuchten, fanden sie Patronen, einen Zettel mit Adressen von Moskauer Synagogen und zahlreiche antisemitische Bücher russischer Autoren, so das Machwerk „Der Angriff der russischen Götter“ von Wladimir Istarchow. In dem Buch des „arisch-slawischen Akademikers“ (so seine Selbstbeschreibung) ist die Rede von der „jüdischen Mafia“, die „nach Weltherrschaft strebt“. „Die Juden leben besser“, begründete Kopzew in den Verhören seine Tat. Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage in drei Punkten, Mordversuch, Körperverletzung und Schüren von rassistischem und religiösem Hass. Allein für den Mordversuch drohen 15 Jahre Gefängnis.

Die Staatsanwaltschaft erklärte nach dem Attentat, Kopzew gehöre keiner Organisation an. Doch die Moskauer Zeitungen brachten zahlreiche Hinweise über die engen Kontakte des Attentäters zur rechtsradikalen Skinhead-Szene. Kopzew habe enge Kontakte zum rechtsradikalen Fußball-Fan-Club „Kombat-18“, erklärte ein Skinhead in der Boulevard-Zeitung „Moskowskij Komsomolez“. Auf der Demonstration von 3.000 Nationalisten, die am russischen Feiertag „Volkseinheit“ durch die Moskauer Innenstadt zogen, habe Kopzew „Sieg Heil“ gerufen.

Duma will Gesetze verschärfen

Der russische Oberrabbiner, Berl Lasar, erklärte, die jüdischen Gemeinden allein hätten nicht die Kraft, die Verbreitung rassistischer Literatur und rechtsradikale Aufmärsche zu stoppen. Man erwarte „reale Schritte“ von der Macht. Alla Gerber, Vorsitzende der Holocaust-Stiftung, erklärte gegenüber dieser Zeitung, rassistische Attentate seien möglich, weil sich die Skinhead-Szene ungehindert ausbreite. Die Gruppen seien gut organisiert, finanziert und ausgerüstet. Jeder Skinhead habe eine kleine Bibliothek zu der auch Hitlers „Mein Kampf“ gehört. Antisemitische Literatur wird in Russland frei verkauft. „Es geht nicht um das Messer, es geht um den Zustand der Gesellschaft. Alles war vorbereitet, dass so etwas passiert.“

In der Duma kam es nach dem Messer-Attentat zu einer heftigen Debatte. Pawel Krascheninnikow, Vorsitzender des Duma-Rechts-Ausschuses, forderte neue Gesetze zum Verbot extremistischer Propaganda im Internet. Kopzew hatte nach Berichten seiner Mutter tagelang vor dem Computer gesessen und „Postal“ gespielt. Bei dem Spiel schlachtet ein frustrierter Londoner Postbeamter wahllos Bürger der Stadt ab. Duma-Abgeordnete trafen sich mit Vertretern der von Putin ins Leben gerufenen Bürger-Kammer, um über ein Verbot antisemitischer und nazistischer Literatur zu beraten. Der Vertreter der Bürger-Kammer, der bekannte Anwalt Genri Resnik, schlug vor, eine Verbotsliste von nazistischen Büchern aufzustellen. 20 bis 30 Titel russischer und ausländischer Autoren die zum Hass zwischen den Nationalitäten anstacheln, sollen auf diese Liste, so auch Hitlers „Mein Kampf“, die Bücher des NS-Ideologen Alfred Rosenberg sowie die „Protokolle der Weisen von Zion“ mit gefälschten Aussaugen angeblicher Juden. Diese Bücher seien auch in anderen Ländern verboten, erklärte Resnik.

Immer noch Gründe für Emigration

In Russland leben heute nach offiziellen Angaben noch 250.000 Juden. Tatsächlich leben in Russland aber eine Million Juden, meint Alla Gerber. Viele Juden hatten in der Sowjetzeit aus Angst vor Diskriminierung „Russe“ in ihrem Pass eintragen lassen. Auch gäbe es viele Menschen, die jüdische und russische Eltern haben. Angesichts der Situation halte die Emigration an. Die Lage im Land sei „drückend, gefährlich und widerlich. Man fühlt sich nicht geschützt.“ Doch Hass gegen Russen wäre eine falsche Konsequenz. Rassismus bedrohe nicht nur die Juden, sondern auch die Russen selbst. Die jüdischen Gemeinschaften in Russland wollen den Schutz der Synagogen durch private Wachdienste verstärken, der Schutz der Polizei reicht nicht aus. Eine neue Stiftung soll die Finanzierung der Sicherheitsmaßnahmen absichern.


*** Ende ***



Ulrich Heyden


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