Russland

Kaukasischer Markt in Trümmern

Moskau (n-ost) - „Ich hörte ein Krachen. Mehr erinnere ich nicht. Mir fiel etwas auf den Kopf. Zuhause kam ich wieder zu mir. Ein Freund hatte mich gerettet“, so der Bericht eines kaukasischen Markt-Händlers in„Radio Echo Moskwy“. Am Donnerstagmorgen um fünf Uhr war die riesige freitragende Kuppel des Baumanski-Marktes im Nordwesten Moskaus in sich zusammengestürzt. 45 Menschen konnten nur noch tot geborgen werden. 31 Menschen wurden mit Rippenbrüchen, Quetschungen und Kopfverletzungen in Krankenhäusern eingeliefert. Die ganze Nacht über hatte es bei Temperaturen leicht unter Null Grad heftig geschneit. Auf den Dächer Moskaus lag der Schnee vierzig Zentimeter hoch.

Der Baumanski-Rynok ist einer der größten Märkte Moskaus. Die meisten Händler kommen aus dem Kaukasus und Zentralasien. Viele von ihnen wohnen und schlafen im Keller des Marktes, der rund um die Uhr geöffnet hat. Um fünf Uhr morgens kommen bereits die Großhändler. Nach Angaben der Internetzeitung Gazeta.ru befanden sich zum Zeitpunkt des Unglücks bis zu 150 Menschen in der Halle. In der 1977 gebauten kreisrunden Markt-Halle mit einer Verkaufsfläche von 13.000 Quadratmetern wurde mit hochwertigem Obst, Gemüse, Fleisch und Gewürzen gehandelt. Auf den Emporen wurden entgegen der Bauvorschrift feste Markstände errichtet.

Architekt Nodar Kantscheli, der die Halle entwarf, erklärte am Rande der Unglücksstelle, der Markt sei wahrscheinlich nicht sachgemäß genutzt und nicht auf Korrosion und Materialermüdung überprüft worden. Kantscheli ist in Russland kein Unbekannter. Der Architekt hatte auch die freitragende Dach-Konstruktion des Moskauer Transvaal-Schwimmbads entworfen. Diese war am 14. Februar 2004 eingestürzt. Bei dem Unglück starben 28 Menschen, mehr als 200 wurden verletzt. Das Verfahren gegen Kantscheli zieht sich bis heute hin.

Zerstörte Ruhe am Feiertag

Der 23. Februar ist in Russland arbeitsfrei. Am „Tag der Vaterlandsverteidiger“ feiert man die Armee. In der Stadt gab es Demonstrationen und Festveranstaltungen mit schmissiger Militärmusik. Derweil standen am Unglücksort die Angehörige der Opfer vor den Absperrungen und warteten auf Lebenszeichen. Feuerwehrleute und Mitarbeiter des russischen Katastrophenschutzes suchten zunächst mit Hunden die Trümmer ab. An elf Stellen hörte man die Rufe von Eingeschlossenen. Erst am Abend wurde schwere Technik eingesetzt. Die Rettungsarbeiten wurden durch einen Brand in einem Teil der Trümmer erschwert.

Minister warnt vor neuen Katastrophen

Der Moskauer Bürgermeister Juri Luschkow wollte nicht ausschließen, dass die Konstruktion der Kuppel und der starke Schneefall das Unglück verursacht haben. Einen Terrorakt schloss er aus. Der Staatsanwalt Anatoli Sujew leitete ein Strafverfahren wegen Fahrlässigkeit ein. Sujew nannte unsachgemäße Nutzung des Gebäudes, mangelnde Aufsichtspflicht und eine falsche Konstruktion des Gebäudes als mögliche Unglücksursachen.

Der Professor für Design und Projektierung, Wjatscheslaw Glasytschow, erklärte gegenüber „Radio Echo Moskwy“ derartige Katastrophen wie beim Baumanski-Markt seien leider nicht zu verhindern. Eigentlich müssten jetzt alle Gebäude in Moskau – der Großteil wurde vor 50 Jahren gebaut – überprüft werden. Viele Gebäude seien überbelegt und würden falsch genutzt. Dass es beim Baumanski-Markt eine Überlastung durch Schnee gab, schloss Glasytschow aus.
Erst vor drei Tagen hatte Sergej Schoijgu, der russische Minister für Katastrophenschutz, vor einer Zunahme technologischer Katastrophen in Russland gewarnt. Die noch existierenden staatlichen Unternehmen würden nicht richtig beaufsichtigt, hatte der Minister erklärt.

Unglückskette in ganz Europa

Unter starker Schneelast brachen in den vergangenen Monaten in Europa zahlreiche Hallendächer. Am 29. Januar stürzte im polnischen Katowice während einer Brieftaubenschau das Dach einer Messehalle ein. 63 Menschen kamen ums Leben. Am 2. Januar brach in Bad Reichenhall das Dach einer Eissporthalle ein. 15 Menschen, unter ihnen 12 Kinder und Jugendliche, wurden getötet. Das letzte derartige Unglück in Russland ereignete sich am 5. Dezember 2005. Damals stürzt das Dach des Schwimmbades in der Ural-Stadt Tschussowoi ein. Es starben 14 Menschen, unter ihnen zehn Kinder.

Ende


Ulrich Heyden


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