Ukraine

Serhij Leschtschenko: „Keine Geisel der Politik“

ostpol: Herr Leschtschenko, als Journalist haben Sie jahrelang die Politik kritisiert. Jetzt sind Sie Abgeordneter. Wie fühlt es sich an, auf der anderen Seite zu stehen?

Leschtschenko: Als Journalist fühle ich mich hier in der Ukraine sehr viel wohler. Die Leserschaft applaudiert einem. In der Politik ist es viel schwieriger: Man verwendet viel Zeit darauf, Menschen zu motivieren, Ideen zu teilen. Man muss Kompromisse schließen. Auch mit Politikern, die zum Teil – und das sage ich jetzt als Journalist – keine guten Menschen sind.


Serhij Leschtschenko, einer der profiliertesten Investigativ-Journalisten der Ukraine, schrieb für die Ukrainska Prawda und verfasste zuletzt auch ein Buch über die geschäftlichen Verstrickungen des gestürzten Präsidenten Viktor Janukowitsch. Jetzt ist er in die Politik gegangen – als Abgeordneter des Blocks Petro Poroschenko, der sich derzeit in Koalitionsverhandlungen befindet. Zum Buch könne man ihm gratulieren, zum Einzug ins Parlament kondolieren, sagt er vor dem Interview.


Meinen Sie damit Politiker, die auch Unternehmer sind, Oligarchen also, mit denen Sie jetzt zusammenarbeiten?

Ja. Die politische Kultur in der Ukraine ist komplett anders als die im Westen. Als Politiker kommt man in eine Art Clan, in dem manche nur zum Geldverdienen in die Politik gegangen sind. Und ehrlich gesagt bin ich mir nicht sicher, ob die politische Elite bereit ist, diese Regeln zu ändern. Ich würde sie gerne verändern – von innen heraus.

Wo ziehen Sie Grenzen? Welchen Kompromiss würden sie nicht schließen?

Wenn die Korruption ein Problem bleibt, das nicht bekämpft wird. Ich verstehe, wie dieses System funktioniert. Wie Oligarchen Probleme über die Politik regeln. Wie sie ihre Interessen vertreten, Politiker unter Kontrolle halten. Ich habe Ideen, wie man dem begegnen kann. Ich denke, es wird sich in den ersten sechs Monaten zeigen, ob da ein politischer Wille seitens der Präsidialadministration und der Regierung besteht oder nicht, diese Strukturen zu bekämpfen. Und wenn nicht, sehe ich meinen Gang in die Politik nicht als Einbahnstraße.

Sie sagen, sie wollen Korruption von innen heraus bekämpfen. Von außen könnte man sagen, sie wurden von dem Unternehmer und Präsidenten Poroschenko als Feigenblatt gekauft.

Nein, das sehe ich nicht so. Das habe ich – denke ich – auch bewiesen. Unseren Wahlkampf haben wir in den vergangenen Wochen in einer an sich unwichtigen Gegend verbracht, in Kirowograd. Der Grund ist: Dort wurde von der Poroschenko-Partei ein korrupter Lokalpolitiker nominiert. Wir haben den Fehler bemerkt – und dann dort rein technisch gesehen Wahlkampf gegen unseren eigenen und für einen unabhängigen Kandidaten betrieben.

Würden Sie sagen, dass die neue Regierung einen Schlussstrich unter die Korruption ziehen kann?

Das weiß ich nicht. Ich kann aber versprechen, dass wir unser Bestes tun werden. Verbal sind auf jeden Fall alle gegen Korruption. Alle sagen, dass Korruption eine Gefahr für die Demokratie ist, und dass man sie bekämpfen muss. Aber, wenn man tiefer gräbt, kann man sehr viele korrupte Interessen orten. Auch in Poroschenkos Partei. Sie müssen verstehen, ich bin nicht der Anwalt von einzelnen Leuten, ich bin der Anwalt von Werten. Meine Karriere in der Politik ist nicht mein Lebensziel. Ich möchte weder Geisel dieses Postens noch von Parteichefs werden.

Sie würden sich also als Opposition auf der Regierungsbank bezeichnen?

So etwas in der Art. Fehler wie in Kirowograd gab es in sicher zehn oder zwanzig anderen Wahlkreisen, wo die Partei des Präsidenten einen korrupten Kandidaten nominiert hat. Das Ergebnis ist: Wir haben vielleicht faktisch in diesen Wahlkreisen gewonnen, aber in Wahrheit haben wir die Wahl verloren. Wir sind an zweiter Stelle hinter der Volksfront von Premier Jazenjuk. Vor wenigen Monaten wurden uns noch 30 Prozent gegeben. Die haben wir verfehlt – u.a. wegen korrupter Besetzungen im Verteidigungsministerium oder in der Generalstaatsanwaltschaft, die die Schüsse von Scharfschützen auf dem Maidan im vergangenen Februar immer noch nicht aufgeklärt hat. Gewissermaßen ist Poroschenko Opfer überzogener Hoffnungen geworden.

Glauben sie, dass die vielen Fragezeichen zu den Scharfschützen auf dem Maidan und den schleppenden Ermittlungen zu einem echten innenpolitischen Problem werden können?

Russland wird das Thema immer verwenden können, um die öffentliche Meinung zu manipulieren. In diesem Sinne: Es gibt keine Ermittlungen, es gibt kein Ergebnis, verantwortlich ist also die Regierung, also wendet euch gegen die Regierung. Und es gibt viele andere Probleme in der Ukraine: Den niedrigen Lebensstandard, den Verfall der nationalen Währung. In dieser Lage ist es sehr einfach, eine Gesellschaft zu manipulieren. Das Blutbad auf dem Maidan kann auch deshalb zum zentralen Thema werden.


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