Rumänien

„Die EU-Kommission kann unsere Ergebnisse nicht ignorieren“

Außenminister Mihai Rasvan Ungureanu ist sich sicher: Rumänien wird ab 2007 zur EU gehörenFrage: Die EU-Kommission hat in ihrem Fortschrittsbericht im Mai vier Bereiche kritisiert, darunter fehlende Strukturen in der rumänischen Landwirtschaft. Brüssel könnte – wenn die Beitrittskriterien unzureichend erfüllt sind – den rumänischen EU-Beitritt auf 2008 verschieben. Die Entscheidung soll am 26. September fallen. Wäre eine Verschiebung um ein Jahr nicht auch im rumänischen Interesse?Der rumänische Außenminister Mihai Razvan Ungureanu. Foto: PrivatMihai-Razvan Ungureanu: Wir brauchen kein weiteres Jahr, um uns auf den EU-Beitritt vorzubereiten. Wir weisen der EU erneut Fortschritte nach: So arbeiten wir an einer Verwaltung, die künftig die EU-Subventionen für die Landwirtschaft verteilen kann, auch kommen wir der EU-Forderung nach einer zentralen Steuerfahndung nach. Diese Ergebnisse wird die Europäische Kommission nicht ignorieren können. Andererseits hängt von diesen Ergebnissen nicht mehr der EU-Beitritt für das Jahr 2007 ab. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Strukturen für eine unabhängige Justiz geschaffen, außerdem gehen wir intensiv gegen die Korruption vor. Das alleine ist beitrittsentscheidend.

Frage: Rumänien hat den EU-Beitritt für 2007 schon in der Tasche?Ungureanu: Die Verschiebung ist für mich vom Tisch. An was ich jetzt denke, sind die Monate nach dem 1. Januar  2007, wo wir den begonnenen Reformprozess weiterführen und zu Ende bringen müssen.Frage: Wird ohne den Beitrittsdruck der Reformprozess schwieriger werden?Ungureanu: Stärker als der Druck der Europäischen Kommission oder des Europäischen Parlaments lasten die Erwartungen der Bürger auf uns: Sie erwarten durch Beitritt und Reformen ein besseres Leben. Zum einheimischen Reformdruck kommt der Konkurrenzdruck von außen hinzu, so müssen wir auf dem europäischen Markt und Wettbewerb erst einmal bestehen.Frage: Eine Regierung hat immer einen Plan B: Nehmen wir an, die EU verschiebt den Beitritt, wie wird Rumänien darauf reagieren?Ungureanu: Wir haben keinen Plan B. Das ist auch kein Fehler von uns. Wir konzentrieren uns auf das eine Ziel, den 1. Januar 2007. Dieses für uns unumstößliche Datum hat den Reformprozess sowohl in der Politik als auch in der Verwaltung beschleunigt. Wenn wir an 2008 gedacht hätten, hätten wir selbst die Bremse gezogen.

Frage: Für den Fall, dass die EU-Kommission den Beitritt verschiebt, wird sich Rumänien dann missmutig von der Europäischen Union abwenden?Ungureanu: Ich sage Ihnen zunächst, was eine Beitrittsverschiebung für Brüssel bedeutet. Es wäre ein Zeichen, dass Brüssel seiner eigenen politischen Entscheidung, die EU-Osterweiterung fortzusetzen, misstraut - das würde der EU nur schaden. Es wäre das Signal, dass sich Brüssel über den EU-Erweiterungsprozess unschlüssig ist, und dass die Union keine Argumente für die Erweiterungsskeptiker hat. 
Und Rumänien wird in zweierlei Hinsicht reagieren. Die Politik darf sich eine emotionale Geste nicht leisten, aber die rumänischen Bürger werden enttäuscht sein. Das Vertrauen in die EU hängt in hohem Maße von der Antwort ab, die wir im Herbst von der Kommission bekommen werden. Frage: Die EU hatte den Beitrittskandidaten vom Jahr 2004 und den zwei Nachfolgekandidaten dieselben Aufnahmekriterien versprochen. Gelten für Rumänien inzwischen strengere Kriterien?Ungureanu: Das stimmt. Wir werden weitaus strenger bei der Umsetzung des EU-Regelwerkes kontrolliert – und das ist gut so. Durch diese kritisch-konstruktive Partnerschaft mit der Europäischen Kommission haben die EU-Staaten das Vertrauen gewonnen, dass wir unsere Probleme nicht unter den Teppich kehren, sondern lösen möchten.  Frage: Die weit verbreitete Korruption ist nicht nur in Rumänien ein viel diskutiertes Thema, auch die Deutschen denken beim Stichwort Rumänien umgehend an ein Land, an dem Bestechung zur Tagesordnung gehört. Warum sollten sich die EU-Bürger auf solch einen Beitrittskandidaten freuen?Ungureanu: Ja, wir haben ein Problem mit der Korruption und wir haben es immer zugegeben. Die Korruption hat in unserem Land eine politische und soziale Dimension. Mit der Nationalen Antikorruptionsagentur, die wir extra für Korruptions- und Kriminalitätsvorwürfe gegen Politiker und Beamte eingesetzt haben, liefert die rumänische Justiz jedoch jetzt klare Beweise, dass nicht mehr das Parteibuch bei den Ermittlungen zählt. Die Justiz ermittelt sowohl gegen die Regierung als auch gegen die Opposition nach den gleichen strengen Regeln. Wenn die ersten Urteile fallen, heißt das aber nicht, dass über Nacht die Korruption verschwinden wird, sondern zunächst nur, dass das Justizsystem unabhängig arbeiten kann. Das ist ein Teilerfolg.
Ich sage auch, wir hätten die Justizreform früher beginnen müssen, dann wären wir jetzt weiter. Doch die Justizreform zeigt unserem Land, dass Korruption keine Bagatelle mehr ist, auch keine Tradition, sondern eine Straftat.

Frage: Kommt Rumänien 2007 in die EU, hätte das Land bis 2013 mit 30 Milliarden Euro die bisher größte Summe für ein EU-Neumitglied zu verwalten. Warum zeigt sich Brüssel so spendabel?

Ungureanu: Die 30 Milliarden sind das Budget der nächsten sechs Jahre, das ich nicht als großzügig bezeichnen würde. Aber wir sagen auch in Rumänien: „Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul”. Unsere Aufgabe ist es, diese EU-Gelder richtig zu nutzen und entsprechende sinnvolle Projekte zu planen, die uns weiterbringen.

Frage: Rumänien erlebt derzeit ein Wirtschaftswunder, auch weil es die billigsten Arbeitskräfte in Europa hat. Außerdem ist das Land mit seinen rund 20 Millionen Konsumenten ein attraktiver Importmarkt. Zahlreiche österreichische und deutsche Investoren haben sich längst in Rumänien niedergelassen. Werden sie die größten Profiteure des rumänischen EU-Beitritts sein?Ungureanu: Ich denke ja. Nicht nur viele deutsche und österreichische Investoren haben sich längst nach Rumänien gewagt, sondern auch viele Italiener und die Niederländer. Sie werden vom EU- Beitritt am meisten profitieren, weil sie früh genug da waren, um den Markt zu sondieren. Der rumänische Investitionsmarkt wird nach dem Beitritt rasch gesättigt sein, so wie es beispielsweise mit dem ungarischen Nachbarmarkt auch geschehen ist. 

Frage: Die deutschen Parlamentarier wollen den rumänischen Beitrittsvertrag erst nach der Beitrittsempfehlung der Europäischen Kommission unterzeichnen. Andere Länder in der EU haben den Vertrag längst ohne EU-Empfehlung ratifiziert. Was verunsichert die deutschen Parlamentarier so stark? Ungureanu: Die deutschen Parlamentarier haben immer konkrete Ergebnisse von uns erwartet, aber auch gleichzeitig neue Ziele, was wir künftig  erreichen wollen. Diese Erwartung können wir erst seit kurzer Zeit erfüllen. Das Verhältnis hat sich dadurch auch deutlich verbessert. Wir verstehen, dass nach wie vor so mancher deutsche Politiker misstrauisch ist, ob wir Korruption in den Griff bekommen. Wir müssen schnell konkrete Beweise auf den Tisch zu legen.

Frage: Was wäre denn die EU ohne Rumänien? Ungureanu: Ein Baum, dem ein Teil seiner Wurzeln fehlt. Rumänien gehört zu Europa, wir haben gemeinsame historische Wurzeln. Und ich bin mir sicher, wir werden frischen Wind und Energie in die EU bringen. Interview: Magda Crisan

Mihai-Razvan Ungureanu

Der 37-jährige Mihai-Razvan Ungureanu gehört zu den jüngsten Mitgliedern der aktuellen rumänischen Regierung. Er ist der jüngste Außenminister, den Rumänien je hatte. Er studierte Geschichte und Philosophie, es folgten zahlreiche Forschungsaufenthalte in Deutschland, Israel, Großbritannien und in den USA. Ungureanu war bereits 1998 bis 2001 als Staatssekretär im rumänischen Außenministerium tätig. Im Jahr 2004 übernahm er das Amt des Außenministers. Kritik erntete Ungureanu, als er sich dafür aussprach, die rumänischen Diplomaten auf eine frühere Zusammenarbeit mit dem Inlandsgeheimdienst Securitate überprüfen zu lassen. (mc)

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