Keine Spur von Las Vegas
Nach Roulette verbietet Russland nun auch Sportpoker(n-ost) – Seit einem Monat gibt es in Russland keine Kasinos mehr, zumindest keine legalen. In der vergangenen Woche wurden zusätzlich die bis dahin geduldeten Sportpoker-Klubs verboten. Um das „unmoralische” Gewerbe zu bekämpfen, beschränkt ein neues Gesetz seit dem 1. Juli Glücksspiel auf vier unbewohnte Zonen in den denkbar entlegensten Ecken des Landes. In der Realität heißt das: Es darf gar nicht mehr gespielt werden, denn in keiner der vier Zonen stehen bisher neue Spielbanken. Eine ganze Branche, die landesweit etwa 500.000 Menschen beschäftigte, existiert nicht mehr.„Dieses Gesetz verfolgt rein politische Ziele. Es ist populistisch und hat keinen wirtschaftlichen Sinn“, schimpft Nikolai Oganesow, Direktor des Verbandes der Spiele-Industrie in der südrussischen Region Rostow. Sein Verband hat der Regierung vorgeschlagen, die Frist für den Umzug der Spielbanken in die vier Sonderzonen bis 2012 zu verlängern. So bliebe genug Zeit, dort neue Kasinos zu errichten. Eine andere Variante sieht er darin, Spielzonen in der Nähe großer Städte zu errichten, ohne dabei landwirtschaftliche Nutzflächen zu zerstören und eine komplett neue Infrastruktur schaffen zu müssen. Das jetzige Konzept hingegen sieht vor, an vier schwer zugänglichen Stellen ein russisches Las Vegas aus dem Boden zu stampfen. Die Regierung will dabei nur die Infrastruktur finanzieren.Der offizielle Standpunkt der Regionalverwaltung im Gebiet Rostow, in dem eine der vier Spielzonen entstehen soll, lautet: „Das Glücksspielgewerbe ist ein schädliches und unmoralisches Geschäft mit einem höchst negativen Einfluss auf unsere Bürger. Deshalb hat der Staat, trotz der dadurch sinkenden Steuereinnahmen, bewusst entschieden, die Spielhöllen von den Straßen zu entfernen.“ Damit liegen die Rostower Administratoren ganz auf der Linie ihrer Moskauer Vorgesetzten.Der Inhaber eines der größten Kasinos in Südrussland, dem „California Sun“ in Rostow am Don, sieht kein gesellschaftliches Problem darin, dass Menschen ins Kasino gehen. „Zum Problem wird das erst, wenn man nichts anderes mehr tut“, sagt Michail Bartnik. „Wenn man glaubt, allein das Glück, nicht eigene Arbeit könne einen reich machen. Kasinos bieten keinen Ersatz für ein Arbeitsgehalt, sie sind Orte der Erholung.“ Bartnik gesteht der Regierung zu, die Spielbranche zu kontrollieren. In dem neuen Gesetz aber sieht er bloßen Aktionismus.Eine der vier neuen Spielzonen liegt an der Grenze der Regionen Rostow und Krasnodar am Ufer des Asowschen Meeres. Bisher hat das 2000 Hektar große Territorium allerdings nur seinen Namen: Asow City. Vom nächsten Dorf ist es 70 Kilometer entfernt. Die anderen drei Zonen sind nicht günstiger gelegen: im fernen Osten unweit der chinesischen Grenze, im Altai-Gebirge und in der Exklave Kaliningrad an der Ostsee.Zur Eröffnungsfeier von Asow City ließ die Regionverwaltung am 1. Juli eilig ein Zelt mit Roulette-Tischen auf freiem Feld errichten. Stunden später baute man es bereits wieder ab, kaum dass die Zeremonie vorüber war. Nur ein Wachmann bleibt in der verlassenen Gegend neben einem Weizenfeld zurück.Für die Zukunft sieht die Lage nicht besser aus: Wegen unsicherer Planung und mühsamer Verhandlungen haben potentielle ausländische Investoren ihre Beteiligung abgesagt, darunter Casinos Austria oder die US-amerikanische Firma Asati. Der Rostower Unternehmer Michail Bartnik hat in Asow City zwar ein Stück Land gemietet, doch dass sich die Idee einer Spielzone dort umsetzen lässt, bezweifelt auch er. Um das brachliegende Gelände attraktiv zu machen, müssten zahlreiche Hotels und Autobahnen gebaut werden. „Las Vegas wurde zwar auch in der Wüste errichtet“, sagt er, „aber das ist kein Vergleich mit Asow City. In Las Vegas existierte zumindest ein Knotenbahnhof. Und selbst dort verdienten die ersten Kasinos kein Geld, bevor nicht der Flughafen gebaut wurde. Die Asower Spielzone hat nicht einmal eine Adresse, ihr bekanntester Einwohner ist die Grüne Mücke.“Steuereinnahmen von 24 Milliarden Rubel (rund 545 Mio. Euro) hat das Glücksspielgewerbe im vergangenen Jahr in den russischen Staatshaushalt gespült. Auch in der Region Rostow machen die Abgaben von Spielhallen und Kasinos bis zu zwei Prozent des Budgets aus. Kasino-Besitzer Michail Bartnik aus Rostow hat ausgerechnet, dass sein Kasino 2008 pro Mitarbeiter viermal so viel Steuern gezahlt hat wie der Elektrotechnik-Betrieb in der gleichen Stadt. Damit ist jetzt Schluss. Bartnik investiert sein Geld in den Bau von drei Kasinos auf dem Balkan.Ein Teil der russischen Spielhallen hat sich bereits vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes in Lotterieklubs, Diskotheken oder Restaurants verwandelt. Das Personal wurde umgeschult und das Schild über dem Eingang durch „Sportpokerklub“ ersetzt. Sportpoker wird in Russland immer populärer und galt bis vor kurzem offiziell als Sportart. Das Spiel bringt den ehemaligen Kasinos viel weniger Geld ein, denn die Kunden spielen miteinander und bezahlen lediglich die Miete für den Tisch. In herkömmlichen Kasinos hingegen konnte die Rentabilität bis zu 500 Prozent pro Jahr betragen. Immerhin musste so aber nicht jede Spielbank ihr Personl auf die Straße setzen. Am 21. Juli erkannte die russische Regierung jedoch auch dem Sportpoker überraschend seinen Rang als Sportart ab. Damit fiel es automatisch unter die Kategorie Glücksspiel und wurde sofort verboten.„Das ist wirklich schade“, findet die 30-jährige Unternehmerin Olga Balabina. „Ich spiele oft mit Freunden Poker, manchmal sind wir dazu auch in den Klub gegangen. Natürlich ist das ein Sport!“ Die gesetzlichen Beschränkungen findet Balabina unzeitgemäß. „Wer sein Geld verjubeln will, findet auch ohne Kasino einen Weg“, ist sie sicher.Der Präsident des Russischen Sportpokerverbands, Dmitri Lesnoi, erklärte, sein Verband sei sehr bedrückt. Im August war die Europäische Poker-Meisterschaft in Moskau geplant. Nun findet sie wahrscheinlich in der Ukraine statt.Michail Bartnik investierte erst kürzlich 2,5 Millonen Rubel (rund 65.000 Euro) in einen neuen Pokerklub. Nach der Entscheidung der vergangenen Woche musste er auf einen Schlag 200 Mitarbeiter entlassen, darunter 30 schwangere Frauen. Allein in der Region Rostow verloren 2.000 Leute ihre Arbeit. Umschulungsprogramme gibt es nicht, alternative Stellen für Croupiers ebensowenig.
Geschlossene Kasinos in Rostow am Don. Foto: Andrej Katschalian
Salina Gutnowa, die ehemalige Managerin des Kasinos „Las Vegas“ am Don-Ufer, ist verzweifelt. Sie ist, genau wie mehr als hundert ehemalige Kollegen, arbeitslos. „Unsere Arbeit wurde gut bezahlt. Nun suche ich eine neue Stelle, aber als Managerin etwa in einem Restaurant bekomme ich höchstens 300 Euro“, klagt sie. Gutnowa überlegt, ins Ausland zu gehen: „Es gibt Angebote, zum Beispiel in Kasinos auf Kreuzfahrtsschiffen.“Die ehemaligen Besitzer russischer Spielbanken vermuten, der Staat werde das Glücksspielgeschäft in Zukunft entweder als Monopolist kontrollieren oder es werde ganz und gar in die Unterwelt abwandern, wie schon zu Sowjetzeiten. Auf Urlaubsschiffen, an Stränden oder in Zügen ließe sich weiterarbeiten – unter der sicheren Protektion geschmierter Verbindungsleute in der Verwaltung. „Der legale Teil des Gewerbes ist abgeschafft. Aber die Leute spielen seit Jahrhunderten und sie werden nie damit aufhören“, sagt Michail Bartnik und schließt den letzten Pokertisch im Warenlager ein.Julia UraktschejewaENDE
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