Russland

Rostow wartet auf den Gipfel

Abschaffung der Visapflicht, Partnerschaft für Modernisierung, Menschenrechte und Russlands Beitritt zu WTO – es sind bedeutende Themen, die während des Russland-EU-Gipfels vom 31. Mai bis 1. Juni in der südrussischen Stadt Rostow am Don verhandelt werden. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy und die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton werden erwartet, von russischer Seite reisen Präsident Dimitri Medwedew, Außenminister Sergej Lawrow und andere hochrangige Politiker zum Gipfel nach Rostow. Rund 400 internationale Journalisten sind akkreditiert.

Doch die Rostower zeigen an dem politischen Großereignis in ihrer Stadt kaum Interesse. Sie sorgen sich eher um die Einschränkungen, die ihnen der Gipfel bringt. Worum es bei dem Treffen gehen soll, das kümmert kaum einen der 1,5-Millionen Einwohner Rostows, das als politisches, wirtschaftliches und kulturelles Zentrum Südrusslands gilt.

In lokalen Internet-Communities wird das Treffen eher im Zusammenhang mit auftretenden Verkehrsproblemen diskutiert. Die Verkehrspolizei hat den Rostowern empfohlen, die Autos stehen zu lassen und während des zweitägigen Gipfels auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen. Die lokalen Behörden haben rund zehn Millionen Euro (400 Millionen Rubel) ausgegeben, um die zentralen Straßen auszubessern und Fassaden zu malern. Riesige Blumenskulpturen, Begrüßungsschilder und Flaggen wurden entlang der Route vom Flughafen zum Hotel Don-Plaza aufgestellt, in dem die Sitzungen stattfinden. Das Musiktheater wurde zum Pressezentrum umgestaltet.´

Lokale Beamte mussten vor dem Gipfel sogar Etikette-Kurse besuchen. Alle kleinen Kioske und Lokalmärkte im Zentrum der Stadt sind bis Mittwoch aus Sicherheitsgründen geschlossen. Zusätzliche Milizkräfte werden aus den Nachbarregionen nach Rostow gebracht. Englischsprachige Reiseleiter sind bereit, den Gipfel-Gästen die Siedlungen der Donkosaken zu zeigen. Am 1. Juni findet ein so genanntes „Präsidenten-Pferderennen“ statt. 2,3 Millionen Euro hat der Besitzer der Rostower Rennbahn, ein lokaler Getreidehändler, ausgegeben, um alles für Medwedews Besuch zu renovieren.

„Was bringt uns dieser Gipfel?“, fragt Alexej, ein Logistik-Manager, achselzuckend. „Wenn die neu gepflanzten Blumen in drei Monaten noch nicht abgestorben sind und der ausgebesserte Asphalt noch hält, dann ist das ja schon ein Gewinn.“ Alexej gibt damit die allgemeine Stimmungslage in Rostow wider.

Typische Kommentare der Rostower zum Gipfel sind auf einem lokalen Medienportal nachzulesen: „Wenn der Macht egal ist, was mit dem Volk passiert, dann ist dem Volk auch egal, was die Macht tut“, heißt es da etwa. Ein User hat sich sogar eine Protestaktion ausgedacht. Er regt an, vor den Augen der europäischen Politiker ein Spruchband mit der Aufschrift „Wo gibt es heißes Wasser?“ zu entrollen. Die Gäste würden die Anspielung vermutlich kaum verstehen: Jedes Jahr wird die Heißwasserversorgung in vielen Bezirken Rostows für mehrere Monate unterbrochen.

Für die Politiker ist die Visa-Frage eines der wichtigsten Themen. Die russische Seite erklärte, „schon ab morgen“ technisch bereit zu sein, die Visumspflicht für Europäer abzuschaffen. Fernando Valenzuela, EU-Botschafter in Russland, gibt sich da zurückhaltender: „Was die Visa angeht, würde ich von dem Gipfel keinen konkreten Fahrplan erwarten, sondern eine Vereinbarung der weiteren Schritte, die beide Seiten unternehmen sollen.“ In Rostow allerdings ist die Visa-Frage nur für sieben bis zehn Prozent der Einwohner interessant – die übrigen können sich Auslandsreisen ohnehin nicht leisten.


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