Polen

Jüdisches Leben in Auschwitz

In der Synagoge von Auschwitz wird heute wieder gebetet. Vor allem Besuchergruppen aus Israel und anderen Ländern nutzen das Gotteshaus, sagt Gesine Reichel. Die 20-jährige Deutsche arbeitet als Freiwillige im Jüdischen Zentrum der Stadt Oswiecim, die unter ihrem deutschen Namen Auschwitz zum Synonym des Holocaust wurde.

Das jüdische Gotteshaus Chewra Lombei Misznajot hatte als einziges in der Stadt im Südwesten Polens den Zweiten Weltkrieg überdauert. Die deutschen Besatzer nutzten die Synagoge als Waffenlager, nach 1945 diente sie als Teppichlager. In den 1990-er Jahren wurde sie schließlich restauriert. Das unscheinbare, gelb gestrichene Gotteshaus ist inzwischen ein Symbol des jüdischen Erbes Oswiecims.


Das jüdische Leben zeigen, nicht nur den Tod

Vor dem Holocaust lebten in Oswiecim mehr Juden als Katholiken. Von dieser Zeit zeugt ein Besucherzentrum im Herzen der Kleinstadt, in dem neben der Synagoge auch ein Museum und eine Bildungsstätte untergebracht sind. Finanziert und betrieben wird das im Jahr 2000 eröffnete Zentrum von der New Yorker Stiftung Auschwitz Jewish Center Foundation (AJCF). Die Verantwortlichen wollten einen Kontrapunkt zur Geschichte der Konzentrationslager setzen. „Wir zeigen die Geschichte der Juden dieser Stadt. Wir wollen damit vermeiden, ihr Leben nur auf den Opfer-Status zu reduzieren“, sagt Maciej Zabierowski, Historiker und im Zentrum für Bildungsprogramme verantwortlich.

Oswiecim ist nicht nur der Vernichtungsort für über 1,1 Millionen europäische Juden. „Es war eine schöne Stadt, mit Häusern, Blumen, Gärten“, erzählt die Holocaust-Überlebende und ehemalige Bewohnerin von Oswiecim Regina Brecher in einem Filmbeitrag. Tatsächlich war die Stadt bis 1939 ein typisch polnisch-jüdischer Ort. Bereits im 16. Jahrhundert hatten sich dort die ersten westeuropäischen Juden angesiedelt, angelockt durch das seinerzeit tolerante polnische Königreich. 1939 stellten die rund 8.000 Juden über die Hälfte der Gesamtbevölkerung.


Katholiken und Juden lebten friedlich zusammen

Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs prägten Juden die Stadt wesentlich mit. Einer von ihnen, Jakob Haberfeld, gründete beispielsweise die bekannte „Dampffabrik feiner Liqueure – Jakob Haberfeld“. Die Große Synagoge, 1939 von den Nazis niedergebrannt, war schon von weitem sichtbar. Zwar gab es wie überall in Polen Spannungen zwischen der jüdischen und der polnisch-katholischen Bevölkerung. Dass sie weitgehend friedlich verliefen, lag auch an dem Einfluss des katholischen Priesters Jan Skarbek, der freundschaftliche Beziehungen mit der jüdischen Gemeinde unterhielt. Der Platz, auf dem das Jüdische Zentrum steht, trägt heute seinen Namen.

Im Jahr 1942 wurden fast alle jüdischen Bewohner im Todeslager Auschwitz-Birkenau ermordet. Doch was kaum vorstellbar erscheint: Auch nach 1945 gab es wieder jüdisches Leben in der Stadt. Knapp 190 Juden kehrten nach dem Zweiten Weltkrieg in ihre Stadt zurück, doch sie emigrierten in den folgenden beiden Jahrzehnten nach Israel, Schweden und die USA. Nur ein einziger Jude blieb bis zu seinem Tod im Jahr 2.000 in Oswiecim: Szymon Kluger, Holocaust-Überlebender und Nachfahre einer alteingesessenen jüdischen Familie.


Schulungen bald auch für deutsche Polizisten

Das jüdische Zentrum zeigt aber nicht nur die Geschichten der Klugers, der Haberfelds oder der Kornreichs, in deren ehemaligem Haus das Museum untergebracht ist. Schüler, Lehrer und Studenten aus dem In- und Ausland besuchen hier Kurse über Menschenrechte. Und derzeit besuchen 200 polnische Polizeibeamte eine Schulung über heutige Hassverbrechen –„auf Basis der Geschichte des Holocaust und dem Wissen über die Täterpsychologie“, sagt der Verantwortliche Maciej Zabierowski.

Ab Herbst 2015 sollen Polizeibeamte aus Berlin und Krakau sogar gemeinsam geschult werden. Partner bei dem Projekt ist die Berliner Gedenkstätte Haus der Wannseekonferenz. Die Seminare werden im Todeslager Auschwitz-Birkenau stattfinden sowie im Obergeschoss der Lombei Misznajot-Synagoge, direkt über dem Raum, in dem Juden aus aller Welt wieder beten können.


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