Rumänien

Das Spiel mit der Syphilis

Von n-ost-Korrespondentin Magdalena Crisan, Tel: 0040-21-2520785 oder 0040-721596988

Bukarest (n-ost). Rumänien hält bei der Zahl der Syphilis-Fälle europaweit einen traurigen Rekord. Angaben des rumänischen Gesundheitsministeriums zufolge gibt es mit 13.000 Fällen im Land rund doppelt so viele Syphiliskranke wie in allen EU-Ländern zusammen genommen. Ärzten zufolge wird Syphilis vor allem durch die illegale Prostitution verbreitet. Würde sie legalisiert, wäre eine bessere ärztliche Kontrolle möglich. Das Veto der Rumänisch-Orthodoxen Kirche hat jedoch bislang alle Legalisierungsversuche im Parlament scheitern lassen.

Ein gewöhnlicher Donnerstagabend, 23 Uhr, Bukarester Magheru Boulevard. In einem Polizeiwagen, einem blau-grauen Dacia, sitzen sechs Prostituierte zusammengedrängt. Ihre fett geschminkten Augen blicken gelangweilt. Der Klingelton eines Handys stört die wehmütige „Manele”-Musik im Polizeiwagen. Ein Zuhälter, unter Prostituierten auch „Manager” genannt, ist am Apparat und drängelt. Zeit ist Geld.
Sile (Name geändert), ein Polizist, nimmt die Mädchen etwa zweimal pro Woche fest. Sie werden auf die Polizeiwache gefahren und dort für ein paar Stunden befragt. Für die Prostituierte Aida ist die Razzia lästige „Routine”. Sie kennt die Branche schon seit Jahren. Die 34-jährige hat nach der Wende ihren Job in einem Chemielabor verloren. Tagsüber arbeitet sie als Putzfrau. Von ihrer „Nachtarbeit” wissen weder die Mutter noch ihre beiden Kinder. „Ich schäme mich nicht”, sagt Aida. „Prostitution ist auch eine Arbeit”. Mit dem Geld finanziert sie die Ausbildung ihrer Tochter an einer der besten Schulen in Bukarest, die jährlich 700 Dollar kostet. Das Mädchen soll es eines Tages besser haben. „Verkommt sie zur Hure, würde ich sie mit den eigenen Händen erwürgen”, stellt die Mutter klar.

Der Frauen steckt der Hunger im Hals

Wie viele Prostituierte es in Rumänien gibt, wissen weder Ministerien noch Polizei. Dass sich immer mehr rumänische Frauen prostituieren, liegt vor allem an der Armut. „Der Hunger steckt ihnen im Hals”, sagt der Polizeibeamte Adrian Morojan vom Bukarester Kriminalamt, das für die Huren der Hauptstadt zuständig ist. Die täglichen Polizeirazzien in Bukarest sind, ähnlich wie das Verbot der Prostitution, wirkungslos. Die Geldstrafen von etwa 45 bis 150 Euro zahlen die Prostituierten sowieso nicht. Laut Gesetz sind sie alternativ zu gemeinnütziger Arbeit verpflichtet, wissen sich dem aber auch zu entziehen.
„Es sind immer dieselben Frauen. Ihr Strafenregister ist länger als ein Betttuch”, sagt Morojan. Gefängnis? Vors Gericht kommt ein Fall nur, wenn nachgewiesen werden kann, dass die Frau damit ihr Haupteinkommen verdient. Aber wie will man das beweisen?
Auf der Polizeistation herrscht eine fröhliche Stimmung. Der Duft billigen Parfüms mischt sich mit Zigarettenrauch. Verständnisvoll hören die Polizisten den immer gleichen Geschichten der Prostituierten zu, fragen nach dem Befinden von Mann und Kind. Das Fotografieren fürs Dossier ruft große Freude hervor. „Bald habe ich mein eigenes Casting-Album”, lacht Aida.Gesetzlich sind die Polizisten bei ihrer Razzia verpflichtet, die Frauen wegen möglicher Geschlechtskrankheiten einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Das geschieht in Wirklichkeit selten, eine entsprechende Regelung zwischen Innen- und Gesundheitsministerium fehlt, unklar ist, wer das Geld dafür zahlen soll. „Aber kein Arzt wird unentgeltlich arbeiten”, sagt Morojan resigniert.
Der Bukarester Arzt Justin Diaconu ist wütend auf die Polizei. „Sie sagen, sie seien schon mit der Aufklärung von Diebstählen genug beschäftigt, da könnten sie sich nicht noch um die Behandlungspflicht der Huren kümmern”, erzählt der Arzt. Diaconu hat in seiner über 45-jährigen Berufspraxis in der Bukarester Klinik für Geschlechtskrankheiten immer wieder Prostituierte als Patientinnen versorgt. Vor drei Jahren brachten Beamte einer Bukarester Polizeistation einmal hundert Prostituierte zur Routinekontrolle: Bis auf sieben Frauen waren alle an Syphilis erkrankt. Behandeln ließen sich aber die wenigsten. Viele von ihnen arbeiten vermutlich heute noch illegal weiter.
Dass Rumänien europaweit die Syphilis-Statistik anführt, ist für Diaconu nicht verwunderlich. Als früherer Leiter der Kommission für Geschlechtskrankheiten drängt er seit Jahren auf eine Legalisierung der Prostitution, damit die Ausbreitung von Geschlechtskrankheiten unter Kontrolle gehalten wird. „Syphilis ist für das Land längst eine reale soziale Gefahr”. Seine Mahnung blieb bislang ungehört.
Aida ließ sich zum letzten Mal vor einem Jahr ärztlich untersuchen. „Kerngesund“ sei sie da gewesen. Zu jeder Jahreszeit geht sie im Bukarester Stadtzentrum auf den Strich. „Ein Dekolletee, ein kurzer Rock, und die Freier kommen wie Mücken zum Honig”. Oralsex lässt sie sich mit rund 20 Euro (700.000 Lei) bezahlen, eine Sadomaso-Nummer mit rund 100 Euro die Stunde.

Schlechte Werbung in der Wahlkampagne

Seit der Wende lagen dem rumänischen Parlament zwei verschiedene Gesetzentwürfe vor, die die Legalisierung der Prostitution regeln sollten. Beide wurden abgelehnt. Ein dritter Entwurf, der sich an der Gesetzeslage von Deutschland und Holland orientiert, wurde vor einem Jahr von sieben Senatoren parteiübergreifend eingebracht. Er liegt aber derzeit auf Eis. Dass die Politiker zögern, hängt mit dem Veto der Rumänisch-Orthodoxen Kirche. „Legalisiert der Staat die Prostitution, verkommt er zum allergrößten Zuhälter”, sagt der Sprecher der Orthodoxen Kirche, Constantin Stoica. Die Kirche befürchtet nach der Legalisierung die weitere Zunahme von Geschlechtskrankheiten. Außerdem gehe es um den „Schutz der Familie”. Die Kirche ist angesichts der im November anstehenden Wahlen ein wichtiger politischer Faktor. Komme es zu einer Legalisierung, sagt Kirchensprecher Stoica, „werden wir unseren Gläubigen raten, dass sie die jetzige Regierung nicht wieder wählen sollen”.
Für die Prostituierte Diana wäre die Aussicht, legal in einem Bordell zu arbeiten, Steuern und Sozialversicherung zu zahlen, ein Wunschtraum. „Da müsste ich im Winter nicht mehr in der Kälte auf Freier warten”. Vielleicht würde es eines Tages eine Rente geben.
Die Nacht nähert sich dem Morgen. Fingerabdrücke, Fotos und Vernehmungsprotokolle von der Prostituierten füllen eine weitere Schublade der Polizei. Polizist Sile zieht die Bilanz der Razzia: elf kurzzeitg festgenommene Prostituierte, Geldstrafen von insgesamt etwa 1.250 Euro (50 Millionen Lei). Polizisten und Prostituierte verabschieden sich freundlich. Einen Tag später sieht man die Mädchen wieder auf dem Bukarester Magheru Boulevard an ihrer Straßenecke stehen.

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