Rumänien

Die Revolution wird zur Ware

Bukarest (n-ost). Am Bukarester Universitätsplatz im Stadtzentrum herrscht in diesen Tagen bereits festliche Weihnachtsatmosphäre. Bunte Lichterketten schmücken die Boulevards und der Straßenhandel mit Geschenken blüht: Billig-Handys, Kerzen, grüne Plastiktannen, Weihnachtsmänner mit Batterien, die einem „Merry Christmas“ wünschen, Plüschtiere „made in Taiwan“ und CDs mit Weihnachtsliedern aus der ganzen Welt. All das können die Rumänen jetzt kaufen – vor 15 Jahren haben sie von diesen Dingen noch nicht einmal zu träumen gewagt. Nur wenige der vorbeikommenden Passanten erinnern sich an die genau auf diesem Platz vor 15 Jahren verstorbenen Revolutionäre.

Costel Micu kann dagegen die blutigen Dezembertage nicht vergessen. Am 21. Dezember ist er in Bukarest auf die Barrikaden gegangen und hat gegen die kommunistische Diktatur gekämpft. „Zu Weihnachten haben wir unsere „Freiheitsration“ erhalten, haben wir damals gemeinsam gerufen“. Heute fragt sich der 37-Jährige allerdings: „Was hilft mir die Freiheit, wenn ich kein Geld in der Tasche habe?“. Im Dezember 1989 hat er im Alter von 22 Jahren dafür gekämpft, dass alle Rumänen „etwas zu essen haben“. Mittlerweile sind schon 15 Jahre vergangen und „es geht uns nicht besser“, sagt Costel enttäuscht.
Der Bukarester hat inzwischen ein Tourismus- und Wirtschaftsstudium abgeschlossen. Doch bei der Firma, bei der er arbeitet, verdient er weniger als 150 Euro im Monat. Trotz des von der Regierung angegebenen Wirtschaftswachstums von acht Prozent zeigen die Statistiken der so genannten Anti-Armutskommission, dass über 25 Prozent der Bevölkerung Rumäniens unter der Armutsgrenze lebt. Straßenkinder und alte Leute, die auf der Straße betteln, gehören zum Alltag der Hauptstadt.

„Die Revolution ist uns von korrupten Politikern geklaut worden“, meint Costel und schaut dabei auf seinen „Revolutionärsschein“. Der Staat gewährt Revolutionären, die so einen Schein besitzen, verschiedene Begünstigungen. Sie sollen damit Grundstücke und Wohnungen erhalten, oder von Steuern befreit werden. „Mir wollten sie dafür nur ein Grab auf dem Friedhof geben. Ich denke doch in meinem Alter noch nicht ans Sterben“, sagt Costel empört.

Er musste die Behörden bestechen, dass man ihm einen Laden zuwies, wie es das Gesetz eigentlich vorsieht. Da das Geld nicht ausreichte, gewährte man ihm nur einen Laden am Rande der Stadt, der längst Pleite gegangen ist.

Über 60 Revolutionärsverbände soll es derzeit in ganz Rumänien geben. Ganz genau weiß das niemand. Von den Begünstigungen, die das Revolutionärsgesetz vorsieht, haben in den letzten 15 Jahren aber zumeist Politiker profitiert. Ein Viertel der früheren Parlamentarier besitzen einen Revolutionärsschein, sagt der ehemalige Abgeordnete Gheorghe Pribeanu, Mitglied der Kommission zur Umsetzung des „revolutionären Gesetzes“. Allerdings verbrachten viele dieser Politiker die Revolutionstage an Orten, an denen es zu gar keinen Straßenkämpfen gekommen ist. Trotz zahlreicher Aufrufe in den Medien haben die staatlichen Behörden bislang keine Maßnahmen gegen die „falschen“ Revolutionäre getroffen.

Für Costel sowie für die Mehrheit der Rumänen sind die Ereignisse vom Dezember 1989 auch heute noch völlig undurchschaubar. Im Zusammenhang mit den Ereignissen der Revolution wird eine Frage am meisten gestellt: „Wer hat auf uns in den Tagen vom 15. bis 22. Dezember geschossen?“. Doch bisher hat man vergebens auf eine Antwort gewartet, wie auch auf die Frage: „War es wirklich eine Revolution oder einfach nur ein Putsch?”

Auch wenn inzwischen dem Gesetz nach die Akten des früheren rumänischen Geheimdienstes Securitate der Öffentlichkeit zugänglich sind, bekommt man die Papiere erst nach jahrelangem Warten – falls man überhaupt den Krieg mit der rumänischen Bürokratie auf sich nimmt.

Petre Roman, der erste Premier des postkommunistischen Rumäniens kämpfte 1989 ebenfalls auf dem Universitätsplatz gegen das Regime Ceausescus. Wenn er an die Aufarbeitung der Ereignisse während der Revolutionstage denkt, dann macht sich bei ihm Enttäuschung breit. Der 58-Jährige erklärt die Trägheit der staatlichen Institutionen durch die „ durch die zunehmende Korruption in allen Bereichen“. Die alten „Strukturen“ des kommunistischen Regimes seien im postrevolutionären Rumänien erhalten geblieben.

„Wir haben ein kurzes Gedächtnis“, sagen Rumänen über sich selbst. Und: „Wir akzeptieren zu viel, wir sind am Ende der Welt“. Doch die jüngere Generation fängt an, in die Zukunft zu schauen. Eine Uhr am Universitätsplatz zählt geduldig die Tage, die noch bis zum möglichen EU-Beitritt Rumäniens übrig geblieben sind. An diesem Datum machen sich alle Hoffnungen fest.

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