Rumänien

„Es ist ein Wunder, dass es uns noch gibt!“

Bukarest (n-ost) - Der Süden Bukarests ist eine traurige Landschaft. Hier stehen bombastische, nie fertig gestellte Bauten im Zuckerbäckerstil, in denen Diktator Ceausescu eine neue Oper und die Staatsbibliothek unterbringen wollte. Verlassene Kräne wechseln sich mit weiten Brachflächen ab, die vom Abrisswahn in den kommunistischen Jahren künden. Auf einer Anhöhe, inmitten einer Brache - umkreist von Straßenhunden und dicken Raben - zeugt noch ein altes Gebäude vom einstigen Bukarest: „Jüdisches Theater“ steht in großen, purpurroten Buchstaben an der Fassade.

„Es ist ein Wunder, dass es uns noch gibt”, erzählt Harry Eliad, der Leiter des Jüdischen Theaters. Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten hier, im so genannten Dudesti-Vacaresti-Viertel, rund Hunderttausend Juden. Schöne Villen, jüdische Restaurants und Kaufhäuser, die es in dieser Gegend gab, wurden in den 50er und 60er Jahren auf Befehl Ceausescus abgerissen. Geblieben ist das über hundertjährige Theater. Einst wurde es „Barascheum“ genannt, zu Ehren seines Mäzens Iuliu Barasch.

Die Wurzeln des Theaters gehen auf die alte Tradition der jüdischen Bänkelsänger, der so genannten Brodersinger auf den rumänischen Flohmärkten, und auf Abraham Goldfadens Theater in Jassy (Iasi) zurück. Dieses Theater an der Grenze zu Moldawien war weltweit das erste professionelle Theater in jiddischer Sprache. Goldfadens Schauspielergruppe zog kurz nach der Gründung im Jahre 1876 in die rumänische Hauptstadt um. Seitdem werden im Bukarester Jüdischen Theater ohne Unterbrechung Stücke der Jüdischen Klassik sowie der Gegenwart in jiddischer Sprache aufgeführt. Für Zuschauer, Juden und Rumänen, die nicht Jiddisch können, gibt es eine Simultanübersetzung ins Rumänische. Dabei verwendet man keine Kopfhörer sondern bis heute die alten Telefonhörer, die an den Stühlen angeschlossen werden.

Das Theater, das während des Kommunismus verstaatlicht und nach der Wende der Bukarester jüdischen Gemeinde zurückgegeben wurde, leidet wie viele Theater in Rumänien unter finanzieller Not. Die Schauspieler verdienen umgerechnet nur etwa 100 Euro im Monat. Und das Haus selbst zehrt seit Jahrzehnten von der Substanz. „Es muss renoviert werden, die Wände sind dem Zusammenbruch nahe”, sagt Eliad. „Wir haben aber kein Geld.”

„Dieses Theater ist mein Leben”, sagt die Frau des Direktors, Leonie Waldmann-Eliad, die seit über 30 Jahren als Schauspielerin am Theater arbeitet. Hier erst hat sie die jiddische Sprache gelernt. Jetzt ist sie es, die den jüngeren Schauspielern die “mame-loschn”, die Muttersprache der aschkenasischen Juden beibringt. „Wir hatten früher drei Aufführungen am Tag und der Saal war voll besetzt”, sagt die Frau, die von den Kollegen „doamna Leonie” (Frau Leonie) genannt wird. Nun wird das Theater nur noch am Wochenende bespielt. Im Programm finden sich Lessings „Nathan der Weise” ebenso wie Rolf Hochhuths „Der Stellvertreter”, „Das große Los” von Scholem Alejchem und Alexander Hausvaters „Anne Frank”. Obwohl ambitioniert, fehlt den Aufführungen das Publikum. „Die Juden, unser traditionelles Publikum, sind in den 60er Jahren ausgewandert und Rumänen interessieren sich nur wenig für die jiddische Kultur”, klagt Leonie Waldmann-Eliad. Doch „Frau Leonie” spielt, wenn es sein muss, auch für zehn Zuschauer. „Paradoxerweise haben wir im Ausland viel mehr Erfolg mit unseren Aufführungen. In Deutschland und Österreich, wo wir regelmäßig auf Tournee sind, haben wir bereits unser eigenes Stammpublikum.“

Wie alle Schauspieler des Jüdischen Theaters singt und tanzt Leonie Waldmann-Eliad auf der Bühne. In „Ruths Buch”, ein Stück des argentinischen Dramatiker Mario Diament - jiddisch übersetzt durch Moshe Yassurs - spielt Waldmann-Eliad die Rolle einer polnischen Jüdin, die kurz vor dem zweiten Weltkrieg nach Argentinien auswandert. Nach 40-jährigem Exil blickt sie auf ihr Leben zurück: Mutter und Vater sind in Konzentrationslagern ums Leben gekommen und ihr privates Leben in Argentinien besteht aus einer langen Reihe von Misserfolgen.

Leonie Waldmann-Eliad hingegen ist stolz auf ihre Biographie. „Ich bin weder während des faschistischen Regimes von Marschall Ion Antonescu, noch während der Ceausescu-Diktatur aus dem Land geflohen. Hier ist mein Land, und mein Platz auf dieser Bühne!”

Als vor ein paar Jahren auf die Wände des Theaters antisemitische Sprüche geschrieben wurden, hat sie die alte Angst wieder gespürt. Der Antisemitismus hat die Juden überlebt. Nur noch 10 000 gibt es in Rumänien, die Hälfte von ihnen lebt in Bukarest. Die wenigsten von ihnen sprechen noch Jiddisch. Und dennoch blicken Leonie Waldmann-Eliad und ihr Mann Harry mit Hoffnung in die Zukunft: „Solange es noch zwei Juden in der Welt gibt, die sich jiddisch unterhalten können, wird unser Theater überleben”.

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