Mehr als ein Drittel des Landes unter Wasser
Bukarest (n-ost) - Das Jahr 2005 wird als Katastrophenjahr in die Geschichte Rumäniens eingehen. Insgesamt sechs Hochwasserwellen sind seit dem Frühjahr über verschiedene Landesteile hinweggerollt und haben eine verheerende Zwischenbilanz hinterlassen: 69 Tote, rund 40.000 zerstörte oder beschädigte Häuser, zahllose zerstörte Brücken, Straßen und Eisenbahnlinien. Die jüngsten Regenfälle Ende September haben mehr als ein Drittel des Landes unter Wasser gesetzt. Zuletzt erwischte es auch die Hauptstadt Bukarest. Dort hielt die 50 Jahre alte Kanalisation dem ständigen Regen nicht mehr stand. Selbst der Schwarzmeer-Strand von Costiensti bietet ein Bild der Zerstörung. Der Badekurort, einer der beliebtesten Urlaubsorte für junge Rumänen, wurde vom Hochwasser völlig verwüstet.
Noch immer werden die rumänischen Behörden der Notsituation nicht gänzlich Herr, obwohl sogar Truppen des Innenministeriums in Marsch gesetzt wurden. Das deutsche und das ungarische Rote Kreuz sowie das Technische Hilfswerk leisten dringend benötigte Hilfe. Doch es fehlt an Pumpen. Daher entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass der rumänische Premier Calin Popescu-Tariceanu die Hochwassergeschädigten zur Selbsthilfe ermuntert. „Bitte warten sie nicht passiv auf die Hilfe der Behörden“, sagte der Premier während eines Blitzbesuchs in den Hochwassergegenden. Für die besonders betroffene Region Tuzla befürchten die Behörden, dass das Wasser erst in einem Monat gänzlich aus allen Wohnungen abgepumpt sein wird.
Immer lauter wird die Kritik an den Behörden. Diese hätten viel zu spät reagiert. Immer noch fehle es in Rumänien an einer Strategie gegen das Hochwasser. Beispielsweise sei die Sanierung der teilweise 200 Jahre alten Dämme völlig verschlafen worden.
Immerhin ist das Volk durch die fortgesetzten Katastrophen enger zusammengerückt. Viele Rumänen sammeln Kleider und Essen. Tausende, darunter auch Staatspräsident Traian Basescu, tragen ein blaues Gummiarmband als Zeichen der Solidarität mit den Hochwassergeschädigten.
Da auf dem Land die meisten Häuser aus Lehm gebaut sind, werden sie von den Wassermassen aufgeweicht und regelrecht davon gespült. Die Dorbewohner, zumeist alte und arme Leute, sind gegen die Überschwemmungen nicht versichert; viele versuchen bis zur letzten Minute in ihren Häusern auszuharren. Groß ist die Angst vor Krankheiten. Auch wenn die Bewohner der geschädigten Gegenden rasch gegen Typhus geimpft werden, besteht weiterhin Seuchengefahr.
Die Regierung schätzt den Gesamtschaden der sechs Hochwasserwellen derzeit vorsichtig auf 1,57 Milliarden Euro, das wären bereits umgerechnet über zehn Prozent des Staatshaushaltes, der jährliche Einnahmen von nur 14,3 Milliarden Euro ausweist. Derzeit ist die Rede davon, dass die Europäische Investitionsbank Rumänien einen Kredit von 600 Millionen Euro gewährt. Aus EU-Töpfen erhält Rumänien zudem für den Wiederaufbau der Hochwassergegenden eine Hilfe von rund 500 Millionen Euro. Aber dieses Geld wird nur die unmittelbare Not lindern können, nicht die Folgeschäden. Der rumänische Landwirtschaftsminister Gheorghe Flutur beziffert beispielsweise die Zahl der überfluteten Felder auf über 600.000 Hektar. Ernteausfälle seien unausweichlich. Infolge des Hochwassers sind zudem die Preise der Lebensmittel stark gestiegen, gleichzeitig geben die Immobilienpreise in den Hochwassergebieten stark nach.
Auf der Suche nach Gründen für das Hochwasserinferno gerät neben dem allgemeinen Klimawandel auch die Situation in den rumänischen Bergen immer mehr in den Blick der Experten. Dort würden seit etwa 15 Jahren Wälder unkontrolliert abgeholzt. Der Boden kann die Wassermassen nicht mehr speichern, die rückständige Kanalisation sei dann völlig überfordert.
Auch in den nächsten Tagen und Wochen könnte sich das Grauen fortsetzen. Die Meteorologen kündigen bereits neue Regenfälle im südlichen Teil Rumäniens an, über 40 Liter pro Quadratmeter pro Sekunde: erneute Hochwassergefahr.
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